Das Ungeheuer von Florenz
aber der ist erst seit einem Monat hier.«
»Dann hat dich wahrscheinlich der Capitano empfohlen. Du solltest dich nicht immer so schlechtmachen, der Capitano hält viel von dir, du hast ein paar wichtige Fälle gelöst.«
»Ich hatte doch nie einen wichtigen Fall zu bearbeiten. Der einzige Fall, den ich je gelöst habe, ist der dieses armen Wichts Cipolla, der aus Versehen diesen Engländer erschossen hatte. Und nur darauf wartete, daß ich ihn verhaftete.«
»Jaja, schon gut – trink noch einen Schluck Kaffee; ich möchte keinen mehr.«
»Dann werd ich nicht schlafen können.« Er nahm ihn trotzdem.
»Und was war mit dem Juwelier, der vor ein paar Jahren ums Leben kam? Du kannst doch nicht leugnen, daß du die Täterin ermittelt hast. Ich kann mich noch gut an die Geschichte erinnern.«
»Ich hab sie aber nicht gefaßt. Sie wurde irgendwo in der Nähe der schweizerischen Grenze verhaftet. Sie hat ein Geständnis abgelegt. Ich habe nicht einmal einen Bericht zu diesem Fall unterzeichnet. Nicht anders war es bei dem Fall in den Töpfereien. Den hab ich zwar gelöst – aber zuständig war die örtliche Polizei – es war nicht mein Gebiet.«
»Und was war mit dem Ausländer im Pelzmantel? Das war dein Fall.«
»Ja, aber gelöst habe ich ihn nicht. Der Mann ist in Amerika gestorben, und wir haben ihn nie zu Gesicht bekommen. Übrigens war bei dem Fall der zuständige Staatsanwalt derselbe wie beim jetzigen, womit wohl jede Gefahr, er könnte mich für Sherlock Holmes halten, gebannt ist.«
»Trotzdem. Du machst dich immer selbst schlecht, und ich weiß, daß der Capitano sehr viel von dir hält. Er hat es mir gesagt, als wir uns kennenlernten, ich erinnere mich genau.«
Das war der Tag, an dem sie sagte, er sehe gut aus.
»Er war einfach nur höflich.«
»Nein, war er nicht. Ich kann das eine schon vom andern unterscheiden. Und was war mit der armen verrückten alten Frau, die in der Nähe des Metzgers wohnte? Damals war ich schon hier – ganz neu als Kundin bei diesem Metzger –, du kannst nicht abstreiten, daß du diesen entsetzlichen Menschen gefunden hast.«
»Verhaftet haben wir ihn aber nicht. Dafür war es zu spät. Das sieht mir ähnlich: zu langsam.«
»Er beging Selbstmord! Himmelherrgott, Salva, du hast ihn trotzdem gefunden!«
»Schon gut… du hast ja recht, und trotzdem, wäre da nicht dieser Nachbar gewesen, der mir den entscheidenden Tip gab… na, auch egal. Ich habe ihn gefunden. Macht also zwei, den und Cipolla. Und wenn man auch dazu eine Menge wiedergefundener Handtaschen und Dutzende von Fotoapparaten und Reisepässen hinzuzählt, macht mich das immer noch nicht zu Sherlock Holmes.«
Teresa jedoch ließ nicht locker, und zum Schluß hatte sie ihn beinahe überzeugt. Zu guter Letzt hielt sie ihm eine Standpauke. Die Leute – vom Capitano mal abgesehen, der ihn gut kannte – würden mehr von ihm halten, wenn er selber mehr von sich hielte und wenn er ab und zu einmal den Mund aufmachte und ein wenig Interesse bekundete, anstatt nur dazustehen und in die Luft zu gucken. Dem Maresciallo war auf einmal viel wohler. Diese Argumentation konnte er viel eher akzeptieren, weil sie ihm vertrauter war. Er bekam das seit Ewigkeiten zu hören, als Kind vor seiner Mutter und seinen Lehrern und als Ehemann von seiner Frau. Wie immer stimmte er zum Schluß allem zu, was sie sagte, und beschloß, sich zu bemühen, einen wacheren Eindruck zu machen und häufiger seine Meinung zu sagen – und morgen früh um acht damit anzufangen.
Nach allem, was darüber schon gesagt und in die Wege geleitet worden war, war dies ein wichtiger Fall, und, ganz gleich, welchen Grund es für die Entscheidung geben mochte, er war nun mal Teil dieser Sonderkommission. Er war es dem Capitano schuldig, seine fünf Sinne beisammenzuhalten, und genau das würde er auch tun. Anstatt sich nach dem Mittagessen mit der Zeitung niederzulassen, ging er schnurstracks in sein Büro und ackerte alle unerledigten Akten durch. Um fünf telefonierte er mit seinem jungen Brigadiere, Lorenzini, der verheiratet war und nicht in der Kaserne wohnte, und sie besprachen, was für Montag auf der Tagesordnung stand.
Als er an jenem Abend zu Bett ging, hatte er das Gefühl, seine Welt im Griff zu haben, und sein letzter Gedanke vor dem Einschlafen war, daß es schließlich eine interessante Erfahrung werden konnte und daß er sich geschmeichelt und geehrt fühlen sollte.
Um ein Uhr dreißig schlug er die Augen auf und war sofort hellwach.
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