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Das Ungeheuer von Florenz

Das Ungeheuer von Florenz

Titel: Das Ungeheuer von Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
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sein, die er bei Gericht entwickelt hatte. Freilich, mit weit ausgebreiteten Armen brachte er seine schwarze seidene Robe am besten zur Geltung, und die trug er ja auch, wie dem Maresciallo einfiel, immer so, daß unter der herabgerutschten Schulter ein überaus eleganter Anzug zum Vorschein kam. Sein Plastron wirkte ebenfalls immer so, als sei er verrutscht: Er saß nicht schief, war aber mit Bedacht so plaziert, daß er nachlässig wirkte. Die Abneigung des Maresciallo gegen Simonetti verstärkte sich zusätzlich, als ihm Mario Querci einfiel, der unschuldige Zeuge eines Mordes, der dem Jagdinstinkt dieses Mannes zum Opfer gefallen war: Simonetti hatte sich auf ihn gestürzt und ihn mit sich gerissen, ihn jedoch, als sich saftigere Beute bot, wieder fallengelassen. Nur war das für Querci zu spät gewesen, denn da befand er sich bereits im Gefängnis, hatte seine Arbeit und Frau und Kind verloren. Aller Bindungen beraubt, bestürzt und verängstigt, brachte Querci sich um. Simonetti jedoch hatte gewiß keinen Augenblick an der Rechtmäßigkeit seines Tuns gezweifelt, und vermutlich war ihm dieses unwichtige Ereignis schon gar nicht mehr gegenwärtig. Gott schütze jeden, der ihm bei einem so wichtigen Fall wie diesem in die Quere kam. Wenn der einmal Blut geleckt hatte! Warum dachte er so über den Mann? Simonetti war nicht abgezehrt, hatte keinen spitzen Schnabel… er war breitschultrig und stämmig… vielleicht, weil der Capitano erzählt hatte, daß er und der Oberstaatsanwalt gemeinsam auf die Jagd gingen… Nein. Es lag an seinen Augen, Augen, die unter schweren Lidern unnatürlich hell waren. Hm. Tja, die Spur bei diesem Fall war erkaltet, und wenn er meinte, ihn nach all den Jahren trotzdem lösen zu können… »Seit 1981, das heißt, nachdem wir wußten, daß wir es mit einem Serienmörder zu tun haben und die Geschichte in der Presse durchsickerte, haben wir Hunderte von anonymen Hinweisen erhalten, aber nur drei davon sind wirklich von Interesse. Zwei von diesen stammen vermutlich von dem Mörder selbst, und Sie finden Kopien davon in den Akten, die man Ihnen ausgehändigt hat. Der dritte betrifft die Person, gegen die wir derzeit ermitteln.
    Diesen Mann haben wir bereits im Computer registriert, da er, wie der Brief andeutet, schon in seiner Jugend wegen Mordes verurteilt worden war, und zwar eines besonders heimtückischen Mordes – Details darüber finden Sie in Ihren Akten –, und weil er als Voyeur bekannt war. Vor ungefähr drei Jahren wurde er wegen fortgesetzten sexuellen Mißbrauchs seiner Tochter verurteilt. Er verbüßt seine Strafe im Gefängnis von Sollicciano. Unsere Nachforschungen haben ergeben, daß der Mann zur Zeit der Doppelmorde in den jeweiligen Gegenden lebte und jede davon gut gekannt haben muß, weil es sich bei den Tatorten überall um Plätze handelt, die gern von Liebespaaren und folglich auch von Voyeuren aufgesucht werden. Wir haben deshalb vor einiger Zeit sein Haus und die Nebengebäude durchsucht, aber nichts von Interesse gefunden. Seither nehmen wir seine Aktivitäten und seinen Umkreis genauer unter die Lupe, und demnächst wird er eine gerichtliche Mitteilung erhalten, daß wegen der Doppelmorde aus den Jahren 1968, 1974, Juni 1981, Oktober 1981, 1982, 1983,1984 und 1985 gegen ihn ermittelt wird. In der Zwischenzeit werden Sie die Akten durchgehen, die Ihnen ausgehändigt worden sind. Dann werden wir handeln.«
    Er packte seine eigenen Akten ein und stand auf, strahlend vor Kameradschaft und jungenhaftem Charme.
    »Ich habe veranlaßt, daß man Ihnen Kaffee bringt, und ich hoffe, daß Sie sich miteinander bekannt machen. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit Ihnen. Meine Herren, guten Morgen.«
    Als Simonetti hinausrauschte – man meinte, die Seidenrobe hinter ihm her wehen zu sehen –, atmete der Maresciallo tief aus und beglückwünschte sich dazu, während des ganzen Vortrags, der, wie er mit einem verstohlenen Blick auf seine Armbanduhr feststellte, gute zwei Stunden gedauert hatte, wach geblieben zu sein. Zum Glück mußte er nicht beweisen, wie wach, denn er hätte abgesehen von der Passage über den anonymen Brief und dem letzten Stück über die gerichtliche Mitteilung und dem Kaffee kein einziges Wort von dem, was Simonetti gesagt hatte, wiederholen können.
    Auf der großen Steintreppe vor dem Gericht drängte sich eine Meute von Journalisten, die sich Notizen machten und Gerüchte austauschten. Obwohl es so warm war wie immer, hatten sie die

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