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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Wulff
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er solche Vernehmungstaktiken wohl gelernt haben mochte, und dachte an die sowjetische Militärjustiz oder an den KGB.
    Durch die Präzisierungen, die er Zeugen und Sachverständigen durch seine Befragungen abgetrotzt hatte, brachte er oder Saitsew es fertig, seine eigene Darstellung der »Meuterei« auf dem Schiff, der Tötung der drei Besatzungsmitglieder durch die beiden Aufrührer und seine eigene Notwehraktion an den improvisierten »Thermopylen« in völligen Einklang mit den Ergebnissen der Spurensuche und der gerichtsmedizinischen Gutachter zu bringen. Jedenfalls hätte sich nach der Beweisaufnahme tatsächlich alles auch so abgespielt haben können, wie er es geschildert hatte.
    Die Aufgabe, die ich als Gutachter zu lösen hatte, war einfach und schwierig zugleich. Einfach, weil mir sehr rasch klar geworden war, dass keiner der Schuldausschließungs- oder -minderungsgründe, die das Strafgesetz vorsieht, bei ihm gegeben war. Seine hohe, überwache Intelligenz schloss eine hirnorganisch bedingte Schädigung von vornherein aus. Er war auch nicht von irgendwelchen Wahnideen oder gar Sinnestäuschungen heimgesucht worden, seine Denkvorgänge liefen in einer perfekten Ordnung ab. Seine Stimmung war ausgeglichen, seine Besonnenheit stand außer Zweifel, alle seine Affekte hatte er unter Kontrolle. Auch gravierende erlebnisbedingte wunde Punkte neurotischer Prägung waren nicht auszumachen, ebenso wenig eine schwere Persönlichkeitsdeformation. Dass seine Vernunftgläubigkeit und sein Logikvertrauen zu einer Art überwertiger Idee geworden waren, zu säkularen Göttern, konnte weder als krankhaft noch als abnorm klassifiziert werden, so etwas lag ja schließlich im Trend der Zeit. Es konnte kein Zweifel an seiner vollen strafrechtlichen Verantwortung bestehen.
    Und dennoch blieb bei mir ein leises Unbehagen zurück. Ich versuchte es dadurch zu mindern, dass ich dem Gericht Saitsews markanteste Persönlichkeitszüge ausführlich beschrieb: seine Gefühlskälte, seine oft sehr umwegigen, wenig spontanen Anstrengungen, seine persönlichen Interessen durchzusetzen, seine Unbedenklichkeit, Zeugnisse und Dokumente zu fälschen, wenn er meinte, dabei nicht erwischt zu werden, seine Scheu vor jeder emotional aufgeladenen Konfrontation, seine Neigung, jede auch nur denkbare Situation in eine Art Schachspiel zu verwandeln. Ich war mir auch überhaupt nicht sicher, ob in Wirklichkeit nicht eine völlig andere Partie gespielt worden war als diejenige, die Saitsew der Polizei, mir und dem Gericht vorgeführt hatte. Vielleicht hatte er mit Hilfe eines Komplizen, z. B. dem Koch, mit dem zusammen er angeheuert hatte, an die Schiffskasse herangewollt und einen Angriff auf die anderen versucht, bei dem der Kapitän, der Steuermann und sein Komplize getötet worden waren - dann hätte sich das Ende an den »Thermopylen« auch so abspielen können, wie Saitsew es beschrieb.
    Aber darüber zu entscheiden war gottlob nicht meine Aufgabe, sondern diejenige des Gerichtes. Und das Gericht hielt der öffentlichen Meinung, die eine Verurteilung forderte, stand und entschied sich aus rechtsstaatlicher Verantwortung dazu, Saitsew vom Mordvorwurf freizusprechen. Es hatte sich eben nicht nach-weisen lassen, dass seine Version der Geschehnisse - Meuterei und anschließende Notwehr - nicht den Tatsachen entsprach, da alle Sachbeweise auch mit ihr in Einklang zu bringen waren.
    Diese Standhaftigkeit des Gerichtes forderte meinen Respekt und meine Bewunderung. Der Angeklagte bekam zwar ein Jahr Freiheitsstrafe wegen versuchter Brandstiftung, die war aber durch die Untersuchungshaft schon verbüßt und so verließ er den Gerichtssaal als freier Mann, um in den Tagen danach eine Rundreise zu den vielen Frauen anzutreten, die ihm, als er noch als Massenmörder galt, briefliche Heirats- und Liebesanträge gemacht hatten.
    Ich konnte mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir alle, seine Anwälte, ich, das ganze Gericht für ihn so etwas wie eine Art nützliche Idioten gewesen waren, die ihm seine Freiheit und ein Anrecht auf einen Teil des Geldes in seinem Seesack verschafft hatten. Ich jedenfalls fühlte mich von ihm ausgenutzt: Er hatte es verstanden, alle Ergebnisse meiner Charakteranalyse zu Argumenten gegen seine Täterschaft umzumünzen: seine hohe Intelligenz, seine Scheu vor offenen Konflikten, seine Umwegigkeit und seine Schüchternheit gegenüber Frauen, nach dem Motto: So einer kann eine solche Tat nicht begehen.
    Möglicherweise ist mein

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