Das Unglück der kleinen Giftmischerin
werden. Auch sexuelle Belästigungen, durch wen auch immer, hätte es nicht gegeben. Mit den Geschwistern hätte sie sich gut verstanden, wenn sie auch meist mit den gleichaltrigen Nachbarskindern gespielt hätte. Also: eine typische bundesdeutsche Flüchtlingsfamilie aus dem Osten während der fünfziger und sechziger Wirtschaftswunderjahre.
Und zunächst ging es auch genauso geordnet weiter: Schulabschluss mit durchschnittlichen Noten nach der neunten Klasse, danach eine Lehre als Zahnarzthelferin, die sie mit achtzehn abschloss. Schon mit sechzehn lernte sie ihren späteren Mann kennen, der in der Kreistadt kellnerte. Nach drei Monaten Bekanntschaft schlief sie mit ihm - zum ersten Mal überhaupt mit einem Mann. Sie hätte sich auf den ersten Blick in ihn verliebt: das dunkle Haar, die braunen Augen, er war ganz der Typ, den sie mochte. Zudem schenkte er ihr Blumen und schrieb Liebesbriefe, was damals, wie sie sagte, in ihrem Bekanntenkreis völlig ungewöhnlich gewesen sei.
Auf meine Frage, ob sie denn vorher nie verliebt gewesen sei, erzählt sie, kurz bevor sie ihren Mann kennen lernte, hätte sie schon einen Freund gehabt, ohne jedoch mit ihm geschlafen zu haben, es sei beim Petting, »wie man das heute nennt«, geblieben. Es hätte sich nämlich bald herausgestellt, dass dessen langjährige Freundin von ihm schwanger war, so dass er sich von ihr getrennt und jene geheiratet hätte. Danach hätte sie gedacht, sie nähme nun überhaupt keinen mehr, bis ihr zukünftiger Mann in ihr Leben getreten sei. Dieser erste Freund sei auf ihren Mann sehr eifersüchtig geworden: Als er erfuhr, dass sie nun mit dem Rudi zusammen sei, hätte er sich mit ihm deswegen prügeln wollen. Rudi, ihr späterer Mann, hätte aber daraufhin nur spöttisch zu seinem Nebenbuhler gesagt: »Du hast es bei ihr ja nicht einmal geschafft, ihr die Unschuld zu nehmen!«
Frau Minkat erzählte mir diese Episode mit einem gewissen Stolz darauf, dass zwei Männer ihr gleichzeitig den Hof gemacht hatten und sich um sie sogar schlagen wollten und dass sie den attraktiveren von beiden abbekommen hatte. Das passte nicht ganz in das züchtige Frauchenbild, das ich bis dahin, vor allem aus der Stellungnahme ihres Anwaltes und ihrem heutigen Aussehen, von ihr gewonnen hatte. Durch die Fugen ihrer Geschichte schimmerte vielmehr ein Schuss heftiger Leidenschaftlichkeit durch. Ich ließ es dabei bewenden und sie setzte die Erzählung ihrer Ehegeschichte weiter fort.
Heraus kam dabei, dass ihr Mann sie schon während ihrer Verlobungszeit, als sie bereits von ihm schwanger war, betrogen haben musste, denn kurz nach der Geburt ihrer gemeinsamen Tochter lag plötzlich ein Brief des Jugendamtes auf dem Tisch mit Unterhaltsforderungen für einen Sohn, den eine andere Frau ungefähr um die gleiche Zeit zur Welt gebracht hatte. Ein Ausrutscher, sagte ihr Mann, und sie verzieh ihm »aus Liebe«. Gleichwohl hätte sie sich während der ersten Ehejahre allein und nicht wirklich verheiratet gefühlt: Ihr Mann hätte die meiste Zeit nicht mit ihr, sondern mit Freunden Hasch rauchend und wer weiß was sonst noch treibend draußen am Fluss verbracht. Er sei damals ein richtiger Hippie gewesen, eine Lebensform, die ihr völlig fremd war.
Beiläufig erfuhr ich von Frau Minkat aber, dass sie selbst in dieser Zeit anderthalb Jahre als Animierdame in einer Bar tätig gewesen war, zusammen mit ihrer Freundin Helga Schmidt, die ihr diese Stelle vermittelt hatte, und in vollem Einverständnis mit ihrem Mann. Sie zierte sich zunächst etwas, mir diese Arbeit im Detail zu beschreiben, räumte dann jedoch ein, dass mit den Kunden schmusen und küssen schon dazugehörte. Ich gewann den Eindruck, dass es sich doch um ein kleines Bordell gehandelt hatte, bei dem den Frauen allenfalls die Wahl blieb, mit dem einen oder anderen Gast mal nicht mitzugehen. Ich fragte nach:
Nein, eifersüchtig sei ihr Mann wegen dieser Arbeit nie gewesen. Auch diese Episode passte nicht ganz in ihren sonst so betont respektablen Lebenslauf.
In der Folge schilderte mir Frau Minkat in allen Einzelheiten die Seitensprünge ihres Mannes und was sie dabei empfunden hatte. In der anwaltlichen Stellungnahme waren sie zwar zusammenfassend dargestellt worden, aber sie waren dort abstrakt und allgemein geblieben. Nun erfuhr ich, wie eine Nachbarin ihr erzählt hatte: »Während du arbeitest, amüsiert sich dein Mann mit einer Elke in der Disko!«, wie sie dahin gelaufen war und ihn tatsächlich mit dieser Frau
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