Das Unglück der kleinen Giftmischerin
lebenslange Untreue ihrer Männer: Die war, das erkannten sie jetzt, zu ihrem gemeinsamen Schicksal geworden. Zu zweit fühlten sie sich ihren Männern gegenüber stärker als allein. Während aber Frau Schmidt sich nicht traute, etwas gegen ihren Mann zu unternehmen, schritt Frau Minkat schließlich zur Tat, wobei die Wut und Erbitterung ihrer Freundin wohl bis zu einem gewissen Maße in ihre eigene mit eingeflossen war. Ohne diese Verstärkung ihrer eigenen mörderischen Antriebe, aber auch ohne den moralischen Beistand ihrer Freundin hätte Frau Minkat ihren Plan vielleicht nie in die Tat umgesetzt. Vielleicht hatte auch eine Rolle gespielt, dass Frau Schmidt einem ganz anderen Milieu entstammte als sie selbst, einem Milieu, in dem Recht und Gesetz nicht viel gilt und in dem man sich notfalls mit Gewalt durchsetzen muss. Diese Welt, ihre Verfahrensweisen und Grundsätze, die ihre Freundin repräsentierte, hatte Frau Minkat, so schien mir, sich in deren Person zu Hilfe geholt. Zudem war diese Welt auch ein inzwischen beiseite gelegtes Stück ihrer eigenen Vergangenheit.
Die forensische Bewertung von Frau Schmidts Schuldfähigkeit stellte mich vor keine besonders schwierigen Probleme. Sie war alkohol- und tablettenabhängig, sie hatte in der Nacht vor der Tat reichlich getrunken und dazu noch Valium genommen, so dass eine erhebliche Verminderung ihrer Steuerungsfähigkeit auch noch am nächsten Morgen zumindest nicht ausgeschlossen werden konnte.
Frau Minkat war zum Tatzeitpunkt nicht alkoholisiert. Die verhältnismäßig kleine Valiummenge, die sie eingenommen hatte, war ohne Auswirkung auf ihre kognitiven Fähigkeiten, auf ihre Übersicht und ihre Überlegungen geblieben, allenfalls hatte sie eine mäßige Affektneutralisierung bewirkt, so dass sie sich bei dem, was sie tat, eher kühl und innerlich wenig beteiligt erlebte, also weniger Angst oder Wut dabei spürte. Gleichwohl hielt ich ihr wie Puchlins in der ersten Kurzgeschichte eine »tiefgreifende Bewusstseinsstörung ohne hochgradigen Affekt« zugute. Die Beziehung zu ihrem Mann war seit Jahrzehnten ihre einzige Lebensgrundlage gewesen, um sie aufrechtzuerhalten, hatte sie Kränkungen und Erniedrigungen auf sich genommen. Als sie endgültig und unwiderruflich zerbrach, in dem Augenblick, in dem er nach dem letzten Geschlechtsverkehr die Äußerung fallen ließ, sie ekele ihn an, hatte sie nicht nur jeglichen Halt verloren, vielmehr war er, der bis dahin immer noch ein lebendiger Teil ihrer selbst gewesen war, nun mitten in ihr zu einem Fremdkörper geworden, zu einem nur noch Schmerz verursachenden wilden Fleisch, das sie so schnell wie möglich loswerden musste. Alle bisherigen Lebensregeln hatten für sie ihre Gültigkeit verloren, der Kompass, der ihren Handlungsweisen bisher die Richtung gegeben hatte, existierte nicht mehr. So konnte ich dem Gericht glaubhaft machen, dass ihre Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen war. Statt einer lebenslänglichen Strafe erhielt sie zehn Jahre, und ihre Freundin Helga wegen Beihilfe fünf. Alle Prozessbeteiligten, einschließlich der beiden Angeklagten, empfanden dieses Urteil als schuldangemessen und gerecht. Die Anwälte, aber auch die Richter bedankten sich bei mir, dass ich ihnen die psychologischen Hintergründe dieser Tat so schlüssig erklärt hatte. Ich aber begriff erst in den Wochen danach richtig, was in Frau Minkat tatsächlich abgelaufen war: dass in ihrer kleinbürgerlichen Seele spätestens seit ihrer Pubertät auch Wünsche nach Grenzüberschreitungen, nach einem wilderen Leben geschlummert hatten und dass sie ihnen, zumindest bei ihrer Arbeit im Rotlichtmilieu, auch schon einmal nachgegeben hatte. Nicht nur ihre Freundin Helga, auch ihr sexuell ausschweifender Mann gehörten in diese Welt, die gleichzeitig ein Stück ihrer eigenen Wunschwelt war, einer Wunschwelt, die sie nach ihrer Rotlichtepisode unterdrückt und mit Verboten belegt hatte. Und in dieser Welt war ja auch, in Gestalt von Helgas Mann, Gewalt zu Hause gewesen. Insofern hatte der Mord in ihr innere Vorläufer gehabt, kleine Vettern und Cousinen der letzten, nicht mehr reparablen Regel- und Grenzüberschreitung. Das machte es leichter zu begreifen, dass ein Mensch wie sie sich schließlich zum Töten entschlossen hatte.
Ihre mikroskopisch genaue Schilderung, wie ihr Mann für sie zu einem schmerzenden wilden Fleisch ihrer selbst geworden war, das sie innerlich zu vernichten drohte, machte mir klar, wie Menschen zu der
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