Das Unglück der kleinen Giftmischerin
einzige Mittel, um diesen Schmerz zum Schweigen zu bringen. Sie hätte sich eine Pistole besorgt und sich ihrer Freundin Helga anvertraut. Diese hätte ihr abgeraten, gleichwohl im Falle des Falles ihre Begleitung angeboten. Sie hätte dann den Plan gemacht, ihren Mann auf dessen morgendlichem Heimweg anzuhalten, sich von ihm mitnehmen zu lassen und ihn dabei zu erschießen. Zuerst sei das nur so ein Einfall gewesen, aber der habe sich immer mehr in ihren Kopf eingefressen. Schließlich habe sie sich einen Termin gesetzt. In der Nacht davor hätte sie Gott gebeten, ihr die Entscheidung abzunehmen. Sie sei daraufhin ruhig eingeschlafen und hätte sich am nächsten Morgen viel besser gefühlt, was sie veranlasst hätte, die Sache abzublasen. Helga sei darüber richtig glücklich gewesen. Aber schon nach wenigen Stunden hätte der Schmerz wieder zu bohren begonnen, und nach ein paar Tagen hätte sie die Sache dann doch noch, von Helga begleitet, durchgezogen. Eine solche Erleichterung wie nach der Abgabe der Schüsse hätte sie niemals empfunden: Der Schmerz wäre wie weggewischt gewesen und in ihr Herz seien wieder Ruhe und Frieden eingekehrt. Natürlich hätte sie gehofft, unerkannt zu bleiben und nun ein neues Leben anfangen zu können. Aber als dann die Polizei kam, hätte ihr das so viel auch nicht mehr ausgemacht. Die Hauptsache sei für sie, dass mit ihrem Mann auch der Schmerz aufgehört habe zu existieren. Inzwischen hatte der Anwalt ihrer Mitangeklagten Helga Schmidt die Begutachtung auch seiner Mandantin beantragt, und um den bereits terminierten Prozessbeginn nicht zu verzögern, wurde ich auch mit deren Untersuchung beauftragt. Und zu meinem Erstaunen hatte ich da eine Frau vor mir, die ich mir niemals als Frau Minkats Freundin hätte vorstellen können.
Helga Schmidt war, das sah man ihrer Haut, ihren Augen und ihren zitternden Händen auf den ersten Blick an, Alkoholikerin, und kaum hatte sie den Mund aufgemacht, wurde deutlich, dass sie aus einer sozial randständigen Familie kam. Ausdrücke wie »Drecksau«, »Hure«, »Schlampe« gehörten zu ihrem Repertoire, ebenso Redewendungen wie »Der ist wieder einmal eine treten gegangen wie ein Hahn die Hennen«.
Die Eltern waren nichtsesshafte Wandersleute gewesen, aber ohne, wie Roma oder Sinti, über einen Sippen- oder Stammesrückhalt zu verfügen. Zu Hause wurde gesoffen und geprügelt, von manchen Geschwistern wusste sie nicht zu sagen, wer deren leiblicher Vater war. Mit vierzehn wurde sie von Bundeswehrsoldaten vergewaltigt, mit siebzehn von einer Zufallsbekanntschaft schwanger, mit der die Eltern sie, unter Androhung von Prügel, in eine erste Ehe zwangen. Wie ihr Vater soff und schlug auch dieser Mann, nach zwei Jahren lief sie ihm weg, nachdem sie ihre inzwischen zwei Kinder bei der Oma untergebracht hatte. Da sie Geld brauchte, fing sie an, als Animierdame und Tänzerin in einer Rotlichtbar zu arbeiten. Dort lernte sie gleich Horst, ihren zweiten Mann, kennen, der als Zuhälter der Mädchen fungierte und sie nach kurzer Zeit schon zur Prostitution überredete. Horst war ein alter Freund von Herrn Minkat, so lernten sich auch die beiden Frauen kennen und freundeten sich rasch miteinander an. Bald war auch Frau Minkat in der gleichen Bar tätig, wobei Frau Schmidt als die in diesem Milieu Erfahrenere ihre brave Freundin etwas unter ihre Fittiche nahm.
Helga Schmidts zweite Ehe stand jedoch unter einem noch schlechteren Stern als die erste. Horst, zu dem Helga zunächst, anders als zu ihrem ersten Mann, eine gewisse Zuneigung empfunden hatte, überredete sie nicht nur zur Prostitution, er erwies sich auch als äußerst gewalttätig. Zudem trank er übermäßig, und wenn sie morgens von der Arbeit heimkam, fand sie ihn nicht selten mit anderen Frauen im Ehebett vor. Erst nach vielen Jahren fand sie die Kraft, sich von ihm scheiden zu lassen. Aber er weigerte sich, aus der gemeinsamen Wohnung auszuziehen, und sie musste ihm über Jahre weiterhin Geld abliefern, was sie aus Angst vor seiner mittlerweile stadtbekannten Gewalttätigkeit auch noch tat, als die hier geschilderten Ereignisse stattfanden.
Zu Frau Minkat, die ja nur anderthalb Jahre in der Bar tätig gewesen war, verlor sie zunächst den Kontakt. Erst kurz vor deren Silberhochzeit, also etwa 1990, begegneten die beiden Frauen sich wieder. Diesmal nahm Frau Minkat sich ihrer Freundin an und führte sie in ihren Lebenskreis ein. Beide fanden sich im Kummer und wohl auch in der Wut über die
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