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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Wulff
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eine inzestuöse Beziehung eingegangen und sie war nach wie vor von ihm innerlich abhängig? Hatte sie nach dem Tode der Mutter nicht für eine Weile mit ihm im Ehebett geschlafen? Fürchteten beide, die Mutter könne eines Tages dahinterkommen? Rührte Josefines Faszination für den Tod nicht von dieser familiären Kontamination? Hatte das Verhängnis, das die Familie vor vier Generationen getroffen hatte, sich nun schicksalhaft vollendet? All diese völlig spekulativen Annahmen wirbelten in meinem Kopf umher, aber außer zu meiner Frau habe ich sie während des Prozesses niemandem gegenüber geäußert, denn wenn ich mich auf die Fakten besann, musste ich mir sagen, dass die Ereignisse wohl doch so abgelaufen waren, wie Josefine sie mir erzählt hatte. Und ich war glücklich darüber, dass sie lediglich zu einer Jugendstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt wurde, wegen Tötung durch Unterlassen.

 
    Das wilde Fleisch
    An einem Sonntagmorgen des Juli 1995 wurde der Taxifahrer Rudi Minkat in seinem Mercedes tot aufgefunden. Sein Leichnam wies drei Einschüsse auf. Die Einwohner des kleinen schleswig-holsteinischen Städtchens, wo er wegen seiner Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft beliebt und angesehen gewesen war, veranstalteten eine Mahnwache und verlangten strengste Verurteilung der Täter, für die ihrer Ansicht nach nur Auswärtige in Frage kamen. Vier Tage später fand das Begräbnis statt, bei dem die Witwe, in Tränen aufgelöst, von Nachbarn gestützt und getröstet werden musste.
    Kurz danach tauchten aber Zeugen auf, die bemerkt hatten, dass am fraglichen Morgen zwei Frauen Herrn Minkat angehalten hatten und in seinen Wagen eingestiegen waren. Schon die Beschreibungen lenkten den Verdacht auf Minkats Ehefrau Susi und deren Freundin Helga Schmidt, deren frische Fingerabdrücke sich an den hinteren Türgriffen fanden. Außerdem stellte sich heraus, dass Herr Minkat schon seit einiger Zeit gar nicht mehr zu Hause, sondern bei einer Freundin, Frau Buttermann, genächtigt hatte. Bereits bei der ersten Vernehmung räumte Frau Minkat ein, dass sie die Täterin sei. Weshalb und wie sie es getan hatte, ließ sie durch ihren Anwalt vortragen. Ihr Mann hätte sie schon seit ihrer Verlobungszeit und dann in den über fünfundzwanzig Jahren ihrer Ehe immer wieder betrogen und gedemütigt. Aus Liebe zu ihm hätte sie das aber alles hingenommen, bis er zuletzt zu seiner Freundin gezogen sei, die nur 100 Meter von ihrem Haus entfernt wohne. So hätte sie vor dem ganzen Ort als verlassene Ehefrau dagestanden und das hätte sie nicht mehr ertragen, zumal die neue Freundin ihres Mannes noch nicht einmal eine »Junge« sei, sondern zehn Jahre älter als sie. Ihre Freundin Helga hätte ihr von der Tat abgeraten, sie aber aus Solidarität begleitet, als sie sah, dass ihr Entschluss unwiderruflich war. Frühmorgens hätten sie beide ihren Mann auf der Straße, die der auf seinem Heimweg entlangfuhr, angehalten und ihm erklärt, ihr Wagen stünde nach einer Panne auf dem nächstgelegenen Parkplatz: ob er sie bis dahin mitnehmen könne. Der hätte sie beide einsteigen lassen. Als sie auf dem Parkplatz angekommen seien, hätte sie von hinten dreimal durch den Vordersitz auf ihren Mann geschossen. Woher sie die Pistole hatte, wolle sie nicht sagen.
    Auf den ersten Blick handelte es sich um einen wohl geplanten, banalen Eifersuchtsmord, mit der einzigen Besonderheit, dass zwei Frauen an ihm beteiligt waren. Trotzdem setzte der Anwalt vor Gericht eine psychiatrische Begutachtung von Frau Minkat durch.
    Diese war ein kleines, graziles, adrettes, in ihrer Aufmachung, Mimik und Gestik ebenso wie in ihrer Redeweise Kleinbürgerlichkeit ausstrahlendes Persönchen, dem man seine neunundvierzig Jahre nicht ansah. Die elterliche Familie stammte aus Westpreußen, zwei Geschwister waren, noch ganz klein, 1945 auf der Flucht erfroren. Diese schwere Zeit lag aber lange vor ihrer Geburt. Nach ihrer eigenen Erinnerung hatte sie eine glückliche Kindheit erlebt, mit sieben Geschwistern auf dem Lande, mit Gänsen, Ferkeln und Hühnern und einem großen Gemüsegarten, so dass immer genug zu essen da war. Der Vater war Bauarbeiter und sorgte für das darüber hinaus noch nötige Geld, so dass sie nichts vermisste. An elterliche Gewalt hatte sie keinerlei Erinnerungen, Schläge hätte sie nie bekommen. Zu Hause hatte die Mutter das Sagen, später, als sie älter wurde, trank der eher schweigsame Vater zwar mehr, ohne aber je dabei ausfällig zu

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