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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Wulff
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abgeschobenen Fluchthelferin an und verbrachte mit ihr, wie er behauptete, einige Liebesnächte. In den Akten fand ich aber die Aussage eines damals mit ihm entlassenen Häftlings, wonach dieses Mädchen sich über sexuelle Belästigungen durch Naribor beklagt hätte. Mir fiel es, wie bei fast allen von ihm berichteten Frauengeschichten, schwer, zu beurteilen, was an ihnen stimmte und was lediglich Prahlerei oder Schönfärberei war.
    Nicht lange nach der Entlassung aus Bautzen begann die erste Serie der Sexualdelikte, derentwegen er nicht nur angeschuldigt, sondern auch rechtskräftig verurteilt wurde. Kurz zuvor war nach seinen Angaben der Versuch, mit einer jungen allein erziehenden Mutter zusammenzuleben, gescheitert, weil diese ihn - trotz des schon bestellten Aufgebots - mit anderen Männern betrogen hätte. Er hätte nun mit einer zu großen Wohnung da-
    gesessen, die er nicht bezahlen konnte, und deshalb Annoncen aufgegeben, um Mitbewohner zu finden. Erst auf Nachfrage räumte Naribor ein, dass er in den Anzeigen ausdrücklich Frauen als Mitbewohnerinnen gesucht hatte. Es hätten sich sehr viele gemeldet, mit manchen von ihnen hätte er geschlafen, mit anderen nicht. Dabei sei es auch zu den Begegnungen gekommen, wegen derer er im Knast sitze. Er habe damals »ständig gesucht und nichts gefunden«.
    Naribor verwendete dabei zwei verschiedene Techniken, um sich junge Frauen zugänglich zu machen: Er suchte durch Zeitungsanzeigen Mitbewohnerinnen zu gewinnen und gleichzeitig unter dem Vorwand, er hätte seinen Führerschein verloren, Fahrerinnen für seinen Wagen. Die Situation, die er herstellen wollte, bestand darin, mit ihnen eine Nacht in seiner Wohnung oder in einem Hotelzimmer zu verbringen. Er war von seiner männlichen Anziehungskraft so überzeugt, dass er meinte, alles andere werde sich dann von selbst ergeben. Bei den meisten Frauen hätte das auch reibungslos geklappt, sagte er. Einige hätten allerdings nur Schmusen oder Petting zugelassen, und dann sei er manchmal wohl etwas zu weit gegangen. Wenn er aber zugegeben unter etwas Druck - mit ihnen den Geschlechtsakt vollzogen hätte, hätten sie - genau wie die, die es von vornherein freiwillig machten - wie verrückt gestöhnt und »ihren Orgasmus eingefahren«. Es hätte unter ihnen auch welche gegeben, die beim ersten Mal zunächst nicht gewollt, ihn im Laufe der Nacht aber gebeten hätten, »es ihnen noch einmal zu machen«. Am nächsten Morgen hätten sie dann gemütlich gefrühstückt und er hätte sie heimgefahren. Trotzdem hätten einige von ihnen ihn hinterher angezeigt. Das hätte er damals nicht verstanden. Durch die Therapiestunden wisse er nun aber, dass auch nur »ein bisschen Druck« verboten sei, weil manche dann nur aus Angst mitmachen. Als ich Naribor mit den Schilderungen der Frauen in den Akten konfrontierte: dass er in einem Falle die Wohnungstür und in einem anderen die Hotelzimmertür abgeschlossen und den Schlüssel versteckt hätte, versuchte er diesen Vorwurf durch die Behauptung abzuschwächen, er hätte die Frauen nachts trotzdem auf die Toilette gehen lassen. Und eine von ihnen hätte er morgens, als er für sie beide Brötchen holen ging, während sie noch schlief, nur versehentlich eingeschlossen, ein zweiter Schlüssel hätte am Schlüsselbord gehangen, sie habe es nur nicht bemerkt. Als er bei seiner Rückkehr: »Schatzi, hier ist das Frühstück«, gerufen hätte, sei die Polizei schon in seiner Wohnung gewesen und hätte ihn festgenommen. Er war an dem Morgen überzeugt gewesen, die junge Frau hätte ihm nachträglich, weil sie seine ihr zunächst aufgezwungenen Zärtlichkeiten schließlich doch genossen hätte, Absolution erteilt.
    So erinnern Naribors Delikte an »geschlechtsspezifische Situationsverkennungen«, wie Schorsch sie bei manchen Vergewaltigern beschrieben hat. Mir fielen dazu aber auch einige Berichte von 1945 vergewaltigten Frauen ein, dass es gerade das Schlimmste für sie gewesen sei, dass sie körperliche Lustempfindungen dabei nicht völlig hatten unterdrücken können.
    In meinem ersten Gutachten versuchte ich eine biografische Deutung von Naribors sexueller Delinquenz: Die Einschränkungen und Einengungen, die er in seinem Elternhaus erfuhr, hätten zu einem besonders starken Bedürfnis nach Autonomie und weiträumiger Lebensgestaltung geführt, das Geducktwerden durch den Vater zu einem besonders intensiven Wunsch, sich durchzusetzen, der sexuelle Zwang der Mutter zum Drang, Sexualität

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