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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Wulff
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allein nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten. Und dass er immer wieder von Frauen betrogen und verlassen wurde, hätte seinen Wunsch, sich Frauen dienstbar zu machen, noch verstärkt. Heute, zwanzig Jahre später, frage ich mich, ob diese Lebensgeschichte nicht auch, wenigstens in Teilabschnitten, ein selbstentlastendes Psychotherapieprodukt war. Gültig scheint mir aber immer noch die damals getroffene Feststellung, Naribor sei von der Wunschvorstellung besessen gewesen, die ihm zugleich als Entschuldigung diente, alle Frauen befriedigen zu können. Frauen erschienen ihm als sexuelle Maschinen, die er mit seinem Zauberschlüssel jederzeit anwerfen konnte - auch wenn sie von ihm gegen ihren Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen wurden. Gleichwohl entsprangen seine Vergewaltigungshandlungen wohl nicht einer gefestigten Überzeugung, dies sei wirklich so, auch wenn seine unbezweifelbaren Erfolge bei vielen Frauen es ihm manchmal vorgaukeln mochten. Eine innere Unsicherheit zwang ihn vielmehr, sich das immer wieder zu beweisen.
    Das hatte ich damals aber noch nicht verstanden. Ich empfahl, Naribor, der schon jahrelang Freigänger war, ohne dass es zu einem Rückfall gekommen wäre, achtzehn Monate vor Ablauf seiner Strafe auf Bewährung zu entlassen. Kaum war die Bewährung zu Ende, beging er auch schon seine nächste Straftat. Die Vorgehensweise war eine Variante der schon bekannten: Er antwortete auf eine Wohnungsanzeige einer Frau und bot ihr das Zimmer, in dem er Untermieter war, an. Nach einem gemeinsamen Abendessen schloss er die Tür ab und zwang sie ihrer Aussage zufolge dazu, mit ihm zu schlafen. Eine weitere Vergewaltigungsanzeige unter ganz ähnlichen Umständen folgte zwei Monate später. Der Polizei gegenüber gab Naribor an, die Frauen hätten selbst die Initiative zum Geschlechtsverkehr ergriffen, eine Version, die von der Wohnungsinhaberin zunächst gestützt wurde: Diese gab an, sie hätte die Frauen nackt auf die Toilette gehen sehen und auch deren Lustschreie gehört. Wenn etwas gegen ihren Willen geschehen wäre, hätten sie jederzeit um Hilfe rufen können. So wurden diese Verfahren zunächst nicht weiterverfolgt. Erst als nach einem weiteren Monat eine dritte Frau ihn beschuldigte, sie auf einem Jugoslawienurlaub vergewaltigt und ihr, um sie gefügig zu halten, das Flugticket für ein paar Tage abgenommen zu haben, erging gegen ihn Haftbefehl. Dem entzog er sich durch eine Flucht nach Spanien, bei der ihn eine Freundin begleitete, mit der er zu dieser Zeit ein festes Verhältnis hatte. Erst 1993 wurde er ausgeliefert und es kam zu einem Verfahren, bei dem auch die beiden anderen Vergewaltigungsanzeigen berücksichtigt wurden. Und so erstattete ich mein zweites Gutachten.
    Bei der Hauptverhandlung musste die Wohnungsvermieterin ihre Aussage bei der Polizei korrigieren: Es konnte ihr nachgewiesen werden, dass sie an den Abenden, an denen die Vergewaltigungen stattgefunden hatten, gar nicht am Orte gewesen war. Sie musste ferner zugeben, mit Naribor ein Verhältnis unterhalten zu haben. Sie hätte ihn entlastet, weil sie ihm eine Vergewaltigung nicht zutraute. Auf Rat seines Anwaltes räumte Naribor daraufhin alle drei Vergewaltigungen im Kern ein: Er sei wohl wieder »etwas zu weit gegangen«. Ich erklärte ihn für strafrechtlich voll verantwortlich und sah auch eine Wiederholungsgefahr gegeben. Das Gericht verurteilte ihn zu einer knapp dreijährigen Freiheitsstrafe, verhängte aber keine Sicherheitsverwahrung und gewährte ihm, in Verbindung mit einer Therapieauflage, zunächst sogar Haftverschonung. Die nutzte er, um eine junge Polin kennen zu lernen und zu heiraten. Es folgte ein jahrelanger Kampf zwischen der Staatsanwaltschaft, die auf eine Verbüßung drängte, und dem Anwalt Naribors, der das mit allen juristischen Mitteln zu verhindern suchte. So ergab sich, dass Naribor im Wechsel einige Monate im Knast und einige Monate wieder draußen war. Zu weiteren Straftaten kam es in dieser Zeit nicht. Als er wieder einmal einsaß - es ging um die letzten Monate der Strafe hatte ich zu beurteilen, ob er in den Freigang verlegt werden könnte. Da er im Freigang nie straffällig geworden war, habe ich das bejaht. Seither habe ich nichts mehr von Naribor gehört.
    Kurz danach wurden die strafrechtlichen Bestimmungen gegen Sexualtäter verschärft und die Verhängung von Sicherheitsverwahrung gegen sie erleichtert. Intelligent und anpassungsfähig, wie er war, hat er sich

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