Das Unglück der kleinen Giftmischerin
vielleicht andere Selbstverwirklichungsformen gesucht, um sein Geltungsstreben und seine Gefallsucht zu befriedigen.
Ich war nicht unzufrieden, dass er nach fünfzehn Jahren aus meinem Gesichtskreis verschwand. Seine Prahlerei, seine allzu dreisten Versuche, alle Welt, auch mich für sich einzuspannen, gingen mir immer mehr auf die Nerven, so dass ich der zunehmend überhand nehmenden Abneigung gegen ihn bewusst entgegensteuern musste. Mit seinem Bedürfnis, der kleinen, engen Welt, in der er groß geworden war, zu entfliehen und auf Abenteuerreisen zu gehen, konnte ich mich dagegen gut identifizieren. Und ich beneidete ihn auch etwas um seine leichtfüßigen Erfolge bei Frauen - bis ich bei der Hauptverhandlung die Riege seiner Freundinnen aufmarschieren sah: wie seine Opfer meist wenig ansprechende Geschöpfe.
Public enemy number one
Den Mann, über den ich als Nächsten berichten werde, hatte man des Mordversuches angeklagt. Kurz vor Geschäftsschluss war ein Großmarkt an der niederländischen Grenze von einem zunächst unerkannt gebliebenen jüngeren Mann überfallen worden, der dabei über 40000 DM und 10000 holländische Gulden erbeutet hatte. Der Detektiv des Marktes war hinter dem flüchtenden Täter hergelaufen, der maskierte Mann hatte aber auf ihn geschossen und ihn an der Schulter verletzt, so dass er die Verfolgung aufgeben musste. Ein halbes Jahr später gab ein festgenommener Kokaindealer, in der Hoffnung auf eine niedrigere Strafe, der Polizei einen Hinweis: Der Kassenräuber bei dem damaligen Überfall sei der Kanadier Bernwart Großmann gewesen. Als Beleg für seine Behauptung führte er an, Großmann fahre seit kurzem in einem Porsche herum und verteile an alle seine Freunde Geld. Außerdem prahle er in Kriminellenkreisen mit seiner Tat. Bei einer daraufhin veranlassten Durchsuchung von Großmanns Haus wurde nicht nur Geld gefunden, sondern auch eine handgenähte Maske, in der ein paar seiner Haare hängen geblieben waren, sowie eine Pistole, deren Kaliber dem der am Tatort liegen gebliebenen Patronenhülsen entsprach. Ein Schusswaffenexperte bestätigte, dass das in der Schulter des Detektivs stecken gebliebene Projektil aus dieser Waffe abgefeuert worden war.
Gleichwohl leugnete Großmann auch angesichts solcher erdrückenden Indizien mit dem Überfall irgendetwas zu tun zu haben.
Es dauerte lange, bis der Prozess beginnen konnte. Die Akten über Großmanns Vorstrafen in Kanada kamen mit großer Verzögerung angetröpfelt. Aus ihnen ergab sich, dass die kriminalanamnestischen Voraussetzungen für eine Sicherheitsverwahrung, was die Zahl und Dauer der Vorstrafen betraf, zumindest dann erfüllt waren, wenn der kanadische Strafrahmen für die begangenen Delikte vom deutschen nicht zu stark abwich. Das zu erkunden war Sache des Gerichtes. Aber es musste auch festgestellt werden, ob bei dem Täter ein Hang zu gefährlichen Straftaten gegeben war, und so erging an mich der entsprechende Gutachtenauftrag. Da Großmann zudem als regelmäßiger Haschischkonsument galt, stellte sich überdies die Frage nach seiner strafrechtlichen Verantwortung.
Ich schlug mich ziemlich lange mit den englischsprachigen Aktenordnern aus Kanada herum. Die Unterlagen über eine erste Verurteilung 1969 wegen einer Serie von bewaffneten Überfällen zu einer Gefängnisstrafe von achtzehn Jahren - Großmann war da gerade neunzehn - waren nicht mehr verfügbar, und in den Folgeverurteilungen wurde diese Sache nur kurz erwähnt. 1977 war Großmann aus dem Gefängnis ausgebrochen und nach Montreal gezogen. Eine Vielzahl von Überfällen, manche davon mit Kidnapping, trugen ihm 1979 eine 36-jährige Strafe ein. Im Gefängnis kamen noch Verurteilungen wegen Meuterei, Geiselnahme, Ausbruch und Schusswaffengebrauch im Gerichtssaal hinzu, die ihm weitere zehn Jahre einbrachten. So hätte Großmann wohl bis in sein hohes Alter im Gefängnis gesessen, wenn eine bekannte Strafverteidigerin nicht auf einen gravierenden Formfehler im letzten Urteil gestoßen wäre, das alle Einzelstrafen zu einem »lebenslänglich« zusammengefasst hatte. Der Gefangene wurde daraufhin unter der Bedingung freigelassen, dass er für immer das Land verließ und nach Deutschland zurückkehrte.
Natürlich hatte ich nach der Aktenlektüre etwas Angst, dass Großmann die Chance eines Vieraugengespräches mit mir zu einem weiteren Ausbruch nutzen und mich dafür als Geisel nehmen könnte. Er muss das gemerkt haben, denn er sagte, als der Beamte, der ihn
Weitere Kostenlose Bücher