Das Unglück der kleinen Giftmischerin
Haushalt und die Kindererziehung. Sie erwies sich, wie Großmann berichtete, als gefühlskalt, unberechenbar und gewalttätig. Er hatte eine Narbe an der Kehle, von der sie einmal im Zorn sagte, sie hätte sie ihm beigebracht, um ihn zu töten, weil er als Baby zu laut und zu viel geschrien hätte, und wenn er ihr jetzt nicht gehorche, könne sie so etwas durchaus wiederholen. Und tatsächlich hätte sie einmal, ein Metzgermesser in der Hand, alle ihre Kinder im Schlafanzug bei minus 20 Grad nach draußen in den Schnee getrieben, als die abends vor dem Fernseher zu laut gelacht hätten. Dort wären sie erfroren, wenn nicht zufällig ein Polizeiauto vorbeigekommen wäre, sie eingesammelt und zu Hause abgeliefert hätte. Der Stiefvater hätte die Mutter zwar manchmal etwas zu besänftigen versucht, sich aber in der Regel nicht eingemischt.
Die ersten Jahre waren für Bernwart die schwersten. Der Junge verstand kein Wort Englisch, als er nach Kanada kam. In der Schule wurde er deshalb gehänselt und bekam zudem als deutscher »Nazi« öfter Klassenkeile. Er hatte den Verdacht, dass sein Bruder Benny die Mitschüler aus Eifersucht gegen ihn aufgehetzt hatte. So war er wieder unglücklich, diesmal aber ohne Erlösungshoffnung.
Zunächst wurde er wegen seiner fehlenden Englischkenntnisse um ein Jahr zurückgestuft, später übersprang er zwei Klassen. Mit der Pubertät wuchsen auch seine Körperkräfte. Das vermittelte ihm die Gewissheit, er verfüge über genügend Mittel, um es ihnen allen eines Tages heimzuzahlen.
Mit fünfzehn beendete er die Schule und zog von zu Hause aus, als er Arbeit in einer Möbelfabrik fand. Bald danach geriet er an eine Jugendbande. Zuerst stand er bei Wohnungseinbrüchen nur Schmiere, später beteiligte er sich und versteckte auch das Diebesgut auf dem elterlichen Anwesen, wo es bei einer Durchsuchung gefunden wurde. Erst mit der Zeit sei ihm klar geworden, sagte er mir, dass Einbrüche in Wohnungen bei den Menschen, die sich in ihnen sicher und zu Hause gefühlt hatten, schwere seelische Erschütterungen hervorrufen: Als er seine eigenen Räubereien begann, hätte er sich deshalb immer auf Geschäftsräume beschränkt. In Wohnungen einzudringen sei ein schweres Verbrechen.
Diese erste Deliktserie trug ihm eine Verurteilung zu sechs Monaten in einem »offenen Jugendgefängnis« ein. In diesem gab es viele Schlägereien, die meisten Insassen waren älter und stärker als er, so entfloh er bereits nach drei Tagen nach Toronto. Dort stahl er ein Auto, mit dem er zum Gefängnis zurückkehrte, um dort einen Kumpel abzuholen, mit dem er sich etwas angefreundet hatte. Sie landeten nach einigen Kilometern im Straßengraben. Er ließ seinen Freund zurück, um ein anderes Auto zu besorgen. Als er damit zurückkam, war der Kumpel verschwunden: Er hatte sich, wie er später erfuhr, selbst gestellt. Bernwart war dabei, das Gleiche zu tun, doch da fand er im Handschuhfach des gerade gestohlenen Fahrzeuges 25 000 Dollar. Und obwohl er in diesem Auto noch lange hätte herumfahren können, kaufte er sich einen eigenen Wagen, denn: »Wenn Sie Geld haben, sind Sie ein ehrlicher Mann«, sagte er. Aber statt das Weite zu suchen, versuchte er seinen Kumpel in der Nähe des Gefängnisses wieder zu finden, und dabei wurde er festgenommen. Er bekam zwei Jahre, die Höchststrafe, die es gerade noch gestattete, ihn statt ins Gefängnis in ein geschlossenes Erziehungsheim zu schicken. Das war, nach Bernwart Großmanns Schilderungen, die wahre Hölle. 900 Jugendliche waren dort eingeschlossen, er kam in eine Isolierzelle im Keller, mit einem Loch im Fußboden als Klo. Bei seiner Ankunft wurde er von den »Erziehern« geschlagen, sie rissen ihm die Kleider vom Leib und verpassten ihm die uniforme Insassenkleidung. Als der Direktor in seine Zelle kam, warf er »eine Tasse mit Pisse« auf ihn. Später musste er zusammen mit anderen Disziplinarfällen Erde in Loren transportieren, bewacht von bewaffneten Männern. Viele der so »disziplinierten« Jugendlichen hätten Selbstmord begangen. Sexuelle Attacken durch andere Insassen seien in dieser Erziehungsanstalt an der Tagesordnung gewesen. Um dem zu entgehen, gab es nur das Mittel, den anderen durch Gewalt Angst einzujagen, und das hätte er getan, auch um den Preis, dass er nun von den Wächtern als Gewalttäter eingestuft wurde und jede Strafverkürzung abschreiben musste.
Nach seiner Freilassung erzählte er einem Torontoer Journalisten gegen ein Taschengeld, was er
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