Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
eingelebt zu haben – auch wenn er die Angewohnheit hatte, sämtliche Fenster mit Artgenossen zu verzieren.
Mit einem Seufzen rollte Niove sich herum und schwang die Beine von ihrem Bett. Seit dem Tag, an dem man ihr die Algen gezeigt hatte, hatte sie nicht mehr darum gebeten, ins Labor mitgenommen zu werden. Auch ihr Verhalten Zarail gegenüber war merklich abgekühlt, obwohl sie wusste, dass er mit seiner Forschung nur das Beste erreichen wollte.
Und jetzt sollte sie selbst mithelfen, diese irrwitzigen Vorstellungen zu verwirklichen?
Wieso war es überhaupt notwendig, diese neuen Lebensräume bewohnbar zu machen, indem man Menschen dafür optimierte? Wenn Menschen ohnehin nur noch in kontrollierter Umgebung gezeugt wurden, gab es doch sicherlich andere Methoden, ein Bevölkerungsproblem in den Griff zu bekommen.
Sie starrte durch das Spatzenmeer in ihrem Fenster auf das Gewirr an mit Reklametafeln übersäten Häusern und Verbindungsbrücken, die das Bild von Noryak ebenso prägten wie der allgegenwärtige Smog, der sie nur ein paar Blocks weiter verschluckte.
Gab es denn ein Bevölkerungsproblem?
Sie musste sich eingestehen, dass sie keine Ahnung davon hatte, wie es in der Stadt tatsächlich aussah. Wie die meisten Angehörigen der neuen Generationen hatte sie ihr Leben bisher in der sicheren Abgeschiedenheit verbracht, die das vernetzte System aus Hochhäusern bildete.
Bisher war sie selten außerhalb der Räume gewesen, die ihrem Vater gehörten, und selbst bei diesen Gelegenheiten war sie von ihrer Familie in den Privatfahrzeugen mitgenommen worden, die einen schnellen Verkehr durch die Brücken ermöglichten. Niemand ging auf die offene Straße, wenn es sich vermeiden ließ. Dank ihrer Wasserstofftanks waren die modernen Wagen für den Verkehr in dem Tunnelsystem der Hochhäuser geeignet. Für die Außenluft war dieser Treibstoffwechsel zu spät gekommen, aber der Oberschicht erlaubte es, ihre Fahrzeuge zu benutzen, ohne dazu die luftgefilterten Bereiche verlassen zu müssen.
Jetzt, wo sie darüber nachdachte, wurde ihr bewusst, dass sie nicht einmal wusste, was in den unteren Geschossen ihres eigenen Hauses vor sich ging. Tiefer als in den vierzehnten Stock war sie nie gekommen.
Kurz entschlossen machte sie sich auf den Weg nach unten. Noch bevor sie den Aufzug erreicht hatte, hatte Karill sie eingeholt und auf ihrer Schulter Platz genommen, von ihrem plötzlichen Erkundungsdrang angesteckt. Sie wusste, wie irrational ihr Impuls war. Aber gerade das reizte sie daran.
Ohne Erklärung marschierte sie zielstrebig an ihrem Vater vorbei. Auch als er ihr nachrief, ignorierte sie ihn. Er würde sie nur aufhalten, wenn er wüsste, wohin sie wollte.
Es war allerdings nicht so einfach wie gedacht. Der Aufzug endete im elften Stock, und im Gegensatz zu der Infrastruktur des Centers gab es hier keinen weiteren Lift, in den sie hätte umsteigen können.
Frustriert suchte Niove die angrenzenden Gänge ab. Wenn sie ins Center gefahren waren, hatten sie immer in einem Haus direkt auf der gegenüberliegenden Seite des Platzes geparkt und waren von dort aus auf die Straße gelangt. Aber irgendwie musste man doch auch hier hinunterkommen!
Bei der letzten Tür, die sie aufriss, stieß Niove schließlich ein verblüfftes Lachen aus. Stufe um Stufe wand sich vor ihr hinunter in den geheimnisvollen unteren Bereich des Hauses.
Sie hatte eine Treppe gefunden.
Wenig später fand Niove sich atemlos auf der Straße wieder. Aufgrund der beißenden Luft versuchte sie, trotz der ungewohnten Anstrengung möglichst flach zu atmen, während sie sich ratlos umsah. So unterschiedlich die Häuser vom Fenster aus auch gewirkt hatten, von hier unten aus konnte sie nicht einmal mit Gewissheit sagen, welches ihr eigenes war. Allerdings stellte sie zu ihrem Erstaunen fest, dass die unteren Stockwerke in ihrer Straße keineswegs ungenutzt waren.
An manchen Stellen waren große Schaufenster angebracht, die Einblick gewährten in Geschäfte aller Art. Großteils jedoch schienen sich hinter den endlosen Fensterreihen nur Wohnräume zu befinden.
Jemand lebte im selben Haus wie sie. Es dauerte einen Moment, bis sie diese Erkenntnis verdaut hatte.
Zu gern hätte Niove einen Blick in das Leben dieser Menschen geworfen, die ihr so nah waren, aber die Fenster waren durch Stoffe oder andere blickdichte Materialien verhängt. Neugierig musterte sie die Häuserfront.
Man konnte einen eindeutigen Bruch erkennen zwischen den oberen
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