Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
an vielen Stellen gesehen, ihm jedoch nie eine Bedeutung zugemessen, sondern es für eine weitere unsinnige Reklame gehalten.
Dagegen wunderte es sie jetzt nicht mehr im Geringsten, dass sie in den Kreisen der Optimierten nichts in Erfahrung gebracht hatte. Wie es schien, nahmen die Priester ihren Grundsatz derart wörtlich, dass sie nur, wenn es unvermeidbar war, mit der Oberschicht in Kontakt kamen.
Das immerhin hatten Optimierte und Natürlichgeborene gemeinsam – sie blieben unter sich und versuchten wenn möglich, die Existenz der jeweils anderen zu verdrängen. Niove bezweifelte stark, dass Klone zu den Gebetsstunden zugelassen waren.
Dass der Priester vor dem Center sie angesprochen hatte war wohl reiner Zufall gewesen. Durchnässt und verzweifelt, wie sie gewesen war, musste sie wie eine Natürliche gewirkt haben. Immerhin wurde sie auch oft genug von Klonen aufgrund ihres Aussehens und ihrer Fröhlichkeit für nur geringfügig optimiert gehalten.
Was Niove bisher immer zur Außenseiterin unter ihresgleichen gemacht hatte, schien ihr nun den Weg in eine andere Welt zu öffnen.
4. Kapitel
Die Maschine stieß ein derart ohrenbetäubendes Kreischen aus, dass es den Arbeitern durch Mark und Bein ging. Haron musste einen raschen Satz rückwärts machen, um außer Reichweite der gigantischen, mahlenden Zahnräder zu kommen, die sich knirschend ineinander gruben. Fluchend warf er seine Mütze auf den mit Metallstaub bedeckten Boden. Diesmal war es verdammt knapp gewesen.
Er sah sich um und bemerkte die anderen Arbeiter, die mit stummem Entsetzen auf das zerquetschte Stück Stahl starrten, gegen das Haron sich noch einen Augenblick zuvor gestemmt hatte. Er hatte versucht, es über den Rand in den Schmelztiegel hinein zu wuchten. Die Sortiermaschine hatte es dort verkeilt, ehe sie sich endgültig gegen ihn gewandt hatte.
„Was ist los?“, brüllte er ihnen zu. „Hat irgendjemand gesagt, dass das ein Grund zur Pause ist? Schaut zu, dass dieser Schrotthaufen wieder in Gang kommt!“ Wie geprügelte Hunde zogen sie ihre Köpfe ein und machten sich daran, die fehlgeleiteten Räder des Greifarms wieder auseinander zu stemmen.
Haron wischte über seine verschwitzte Stirn. Dabei verschmierte er nur den porenfeinen rußigen Metallstaub, mit dem sie alle bedeckt waren und der früher oder später ihre Atemwege noch mehr verklebte als das Gift, das der Smog mit sich brachte. Doch an Schmutz und Schweiß verschwendete er keinen Gedanken, sondern packte mit an.
Vielleicht kam es ihm nur so vor, aber dieses Ungetüm an Maschine schien immer häufiger unter Fehlfunktionen zu leiden.
Er hatte es bereits mehrfach gemeldet, aber immer nur dieselbe Antwort erhalten: Eine neue Einheit war zu teuer, Ersatzteile für bei solchen Ausfällen beschädigte Geräte waren das Einzige, das ihm zugestanden wurde. Rohstoffe waren rar und teuer, was einerseits die Arbeitsplätze in ihrer Recycling-Fabrik sicherte. Andererseits zeigte es ihnen auch deutlich, dass Arbeiter der einzige Rohstoff waren, der im Überfluss vorhanden war.
Sie benötigten fast eine halbe Stunde, um die schweren Teile mit purer Muskelkraft an ihren Platz zurückzubewegen und den Schaden zu beheben. Aber er war nicht Schichtleiter geworden, indem er sich von Rückschlägen beeindrucken ließ. In dieser verfluchten Fabrik war es nicht anders als im Leben selbst: Weiter kam nur, wer für sich kämpfen konnte, völlig gleich ob mit Zähnen und Fäusten oder durch Speichellecken und Denunzieren.
Bis zum Ende der Schicht peitschte er seine Arbeiter immer wieder auf, um ein Nachlassen der Konzentration und Leistung zu verhindern. Von sich selbst verlangte er nicht weniger, hatte er doch zusätzlich auch noch die von der Maschine ruinierte Arbeit wieder aufzuholen. Als endlich die Glocke das Signal zum Wechsel gab, ging ein erleichtertes Stöhnen durch die Reihen. Zufrieden sah Haron sich um, während die anderen ihre Plätze in Ordnung brachten. Trotz des Zwischenfalls hatten sie ein gutes Tempo vorgelegt – etwas, das die Gegenschicht schwer ins Schwitzen bringen würde.
Beim Verlassen der Halle klopfte er immer wieder aufmunternd auf Schultern. Zuckerbrot und Peitsche, und dabei selbst als Vorbild dienen – das war seine Methode, sich den Respekt und die Loyalität seiner Leute zu sichern. Und sie funktionierte.
Heute jedoch schlug er ihre Einladungen zu einem Feierabendtrunk aus. Es war sein Hochzeitstag, und er hatte eine ganz besondere
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