Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
deine Absicht, aber wenn wir einen falschen Schritt machen, wird es ein Massaker geben. Das kann ich nicht riskieren.“
„Wenn wir nicht bald irgendeinen Schritt machen, werden deine Leute so oder so sterben. Sie brauchen ein gemeinsames Ziel, eine Hoffnung, für die es sich zu leben lohnt. Einen gemeinsamen Feind haben sie bereits. Jetzt gib ihnen die Möglichkeit, ihre Situation zu ändern!“
„Es wird Krieg geben.“ Der Arzt in Xenos wollte das unnötige Auftürmen von Leichen verhindern, aber Haron sah den Zweifel in seinen Augen. Er würde nicht umhinkommen, sich die Wahrheit in Harons Worten einzugestehen.
„Der Krieg besteht schon lange, nur kämpfen wir ihn nicht. Wir verlieren ihn! Unsere Leute stehlen und betteln, um zu überleben, und riskieren dabei täglich den Tod. Denkst du, sie würden nicht dasselbe für ein größeres Ziel geben?“
Er konnte die Trauer in Xenos Zügen lesen, als er sich schließlich geschlagen gab und nickte. „Du wirst ein spezielles Opfer benötigen, um den gewünschten Effekt zu erhalten. Ich werde Informationen einholen und sie dir zukommen lassen.“
„Mir? Und dann?“
„Was denkst du denn? Ich bin zu alt, um so einen Krieg anzuzetteln. Das ist die Aufgabe der Jüngeren. Du wirst für diesen Einsatz verantwortlich sein. Aber eines vorweg.“ Seine Augen bohrten sich in die seines Gegenübers und Haron sah, dass das Alter seinem Verstand nichts hatte anhaben können.
„Haron, die ganze Gemeinschaft wird die Folgen dieses Einsatzes spüren. Ich möchte, dass du sie darüber aufklärst, was du vorhast – und zu welchem Zweck.“
Haron verbeugte sich benommen und trat in die Höhle hinaus. Was ihm gerade gegeben worden war, waren die Zügel, an denen er die Puristen zum Aufstand lenken sollte. Ein kaltes Lächeln stahl sich auf seine Lippen. Er würde sie zu einem Galopp antreiben, wie ihn niemand erwartete.
Noch am selben Abend rief er zu einer Versammlung auf. Der Hauptraum der Unterstadt, in dem das gewöhnliche abendliche Zusammensitzen und die allgemeinen Mahlzeiten stattfanden, drohte unter dem Andrang beinahe zu bersten. Jung und Alt, Frauen und Männer, Neuangekommene und hier Geborene – alle drängten sich zusammen, um die Neuigkeit zu erfahren, die eine Versammlung bedeuten musste.
Hatte es einen Unfall gegeben? Die alten Kanäle führten zum Teil immer noch Wasser, das manchmal durch die vernachlässigten Betonrohre brach und Teile der Unterstadt flutete. Gab es neue Versorgungsquellen, die man gemeinsam plündern sollte? Hatte jemand Neuigkeiten aus der Welt dort oben?
Die Anwesenden murmelten einander Vermutungen zu, was den Lärmpegel insgesamt überwältigend werden ließ. In der Mitte des Raumes, wo die Höhle eine natürliche Kuppel bildete, konnte Haron sein eigenes Wort nicht verstehen, geschweige denn die anderen zur Ruhe aufrufen.
Erst als Xenos sich erhob und die Arme ausbreitete, versanken die Puristen in ehrfürchtigem Schweigen. Haron bewunderte einmal mehr die Macht, die der alte Mann über diese Menschen hatte, als Xenos ihm mit einem Kopfnicken das Wort erteilte und sich wieder setzte.
Haron dankte ihm und wandte sich dann an die Menge.
„Brüder und Schwestern, wir danken euch für euer Kommen. Ich will euch nicht lange hinhalten. Der Grund, weshalb wir um eure Anwesenheit gebeten haben, ist folgender:
Wie ihr alle wisst, wird die Welt dort oben immer gespaltener. Tag für Tag sterben unsere Angehörigen in den Fabriken, und wer lebt, verbringt sein Dasein im Elend oder sucht Zuflucht hier unten. Seht euch doch um! Wir müssen uns hier verkriechen, während dort oben Ersatzmenschen geschaffen werden. Künstliches Leben! Und sie können im Luxus schwelgen, weil wir unser Blut für sie vergießen.“
Ein unruhiges Murren ging durch die Versammelten. Was er erzählte, waren keine Neuigkeiten. Aber etwas, das immer wieder Anlass zu Unmut und Sorge gab.
„Habt ihr es nicht satt, wie Abfall behandelt zu werden? Betteln und hungern zu müssen? Nicht zu wissen, was mit eurer Familie passiert? Wann es passiert? “
Vereinzelt waren zornige Rufe und oder leise Schluchzer zu hören. Nicht nur Haron hatte jemanden an der Oberfläche zurückgelassen. Aber anders als er mussten sich manche diese Fragen nicht mehr stellen. Die Fabriken hatten sie bereits beantwortet.
„Wir leben in einer Zeit des Wandels“, fuhr Haron fort. „Menschen werden durch Klone ersetzt, bis es dort oben bald nur noch sie gibt und uns nur noch hier
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