Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Gesicht verrieten deutlicher als ihre kindlichen Züge, dass sie noch nicht lange zu den Erwachsenen zählte. Frauen waren selten in der Unterstadt – nur wenige schlossen sich freiwillig an, und die bei den Verletzungen häufig auftretenden Infekte forderten ihre Opfer öfter unter den Frauen als unter den Männern. Das machte sie wertvoll, und Ariats Anwesenheit konnte nur eines bedeuten: Sie hatte selbst darum gebeten, an diesem Einsatz teilzunehmen, und hatte sich bereits genug beweisen können, um ihren Willen dabei durchzusetzen. Was angesichts ihrer deutlich sichtbaren Furcht merkwürdig erschien.
Offensichtlich seine abschätzenden Augen auf sich fühlend, sah das Mädchen zu ihm auf und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Unter seiner Vermummung gestattete Haron sich ein abfälliges Grinsen. Ja, er hatte ihre wütende Fassade durchschaut.
Der Aufzug hielt, und sie traten in die schummrig beleuchteten Gänge der oberen Labore. Das merkwürdige Licht kam von den Glastanks, die sich hier aneinanderreihten. Die Embryos darin waren in unterschiedlichen Entwicklungsstadien, manche kaum mehr als ein paar aneinandergekoppelte Zellen, andere schon vollständig entwickelt zu kleinen Menschen.
Während sie die Reihen abschritten auf der Suche nach dem ihnen beschriebenen Behälter, dachte Haron voller Bitterkeit, dass auch sein eigenes Kind einer von diesen Föten hätte sein können, wenn das Leben sich nicht gegen ihn gestellt hätte. Auch Ariat sah sich aufmerksam um, ihr Gesichtsausdruck war angespannt. Wie es schien, war er nicht der Einzige, der unguten Gedanken nachhing.
In einem der kurzen Seitenteile fanden sie schließlich, wonach sie gesucht hatten: ein männliches Kind, das am nächsten Morgen hätte abgeholt werden sollen. Wie aufgetragen aktivierten sie das Abpumpsystem, das die Flüssigkeit aus dem Glas sog und so den Geburtsvorgang einleitete.
Ehe das Kind auf den Boden des Behälters sinken konnte, griff Haron hinein und zog den nackten Jungen heraus, der nun aus Leibeskräften zu schreien begann. Aufgrund der Größe des Kindes war das keine leichte Aufgabe, besonders für einen Einhändigen. Schnell wickelten sie ihn in eine Decke, woraufhin sich das Kind glücklicherweise beruhigte und nichts dagegen zu haben schien, als Haron es kurzerhand über seine linke Schulter legte.
Ihnen blieb nicht viel Zeit. Das Gehirn des Kleinen würde sich schnell an sein körperliches Alter anpassen und das implantierte Wissen anzapfen, das ihm während des Reifeprozesses eingegeben worden war. Noch verhielt er sich wie ein zufriedener Säugling – er würde sich nicht so leicht aus dem Center schaffen lassen, wenn er sich benahm wie der Fünfjährige, der er eigentlich war.
Mit schnellen Schritten ging Haron, den Jungen auf seinem unnützen linken Arm, zurück zur Kabine. Da ertönte hinter ihm ein lautes Krachen, gefolgt von dem unheilvollen Geräusch von Wasser. Erschrocken fuhr er herum und sah Ariat, die über einem zu Boden geworfenen Behälter stand. Das Glas des Tanks war zerbrochen, in den Scherben wand sich ein sterbender Fötus. Für ihn kam jede Hilfe zu spät, er konnte erst wenige Wochen alt sein.
Fluchend stürmte er zurück, packte die junge Frau am Arm und schüttelte sie rücksichtslos.
„Bist du verrückt geworden?“, zischte er. „Was, verdammt noch mal, hast du dir dabei gedacht?“ Damit stieß er sie grob in den Aufzug und rammte die Tür zu. Das Kind, das durch die unsanften Bewegungen und den Lärm beunruhigt war, fing leise an zu wimmern, während die Kabine sich auf den Weg nach unten machte.
„Kannst du mir verraten, was das eben sollte?“, fuhr er Ariat an. Diese verzog trotzig das Gesicht.
„Es sind Klone, sie haben nichts Besseres verdient! Es wird Zeit, dass wir zurückschlagen, denkst du das nicht?“
„Natürlich denke ich das, aber doch nicht durch solche hirnverbrannten Aktionen! Du riskierst unseren Einsatz, unser Leben! Denkst du nicht nach, bevor du etwas tust?“
Zorn ließ alles Jugendliche aus ihren Zügen verschwinden. „Ich glaube eher, du bist derjenige, der nicht nachdenkt! Wozu, glaubst du, stehlen wir ein Kind? Was denkst du, wird Xenos damit machen?“
Diese Andeutung ließ Haron hellhörig werden. „Was denkst du denn, dass er damit macht?“
Ariat schnaubte. „Er handelt mit den Priestern. Die Kinder, die immer wieder bei uns auftauchen. Glaubst du wirklich, dass er sie alle zufällig auf der Straße findet? Sie handeln damit, als wäre
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