Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
Ohr mehr finden und allein dastehen. Brachte er den Krieg zu früh herein, würden sie ihn bestenfalls verbannen. Schlimmstenfalls wäre niemand mehr am Leben, den er anführen konnte.
Er wartete, bis das Zittern in seinem Inneren nachließ, dann ging er zum Eingang der Kammer und hob den Vorhang an. Es überraschte ihn nicht, draußen Ariat vorzufinden, die breitbeinig an der Mauer lehnte und ihr eigenes Messer säuberte.
Haron hielt den Stoff weiterhin hoch und winkte sie herein. Mit ihrer schmächtigen Gestalt musste sie sich nicht einmal ducken, um unter seinem Arm hindurch ins Innere schlüpfen zu können. Er folgte ihr und registrierte den leeren Ausdruck, mit dem sie den unveränderten Anblick auf dem Tisch erfasste, ehe sie sich erwartungsvoll Haron zuwandte.
„Der Aufstand muss stattfinden“, sagte Haron in festem Ton, der mehr Selbstsicherheit vermittelte, als er empfand. Das Aufblitzen in ihren Augen sehend, war er plötzlich froh, die verbitterte junge Frau anstelle eines der anderen Teammitglieder vor der Kammer gefunden zu haben. Sie würde sich nicht durch zu vollziehende Grausamkeiten und drohende Vernichtung davon abhalten lassen, der Welt ihren Hass zu demonstrieren.
Ihr Nicken bestätigte seine Vermutung. „Das wird er, Haron.“ Sie deutete auf den Leichnam. „Was machen wir damit?“
„Wir müssen sie hier herausschaffen“, murmelte er. Dann, als hätte sich ein unsichtbarer Umhang um ihn gelegt, fand er in seine Rolle zurück. „Wo ist Hemmon? Wenn er schon den ganzen Plan versaut hat, soll er sich wenigstens nützlich machen.“
Aus unerfindlichen Gründen schien es sehr viel schwieriger, die Tote ungesehen hinauszubringen, als es gewesen war, sie lebendig herunterzuschleppen. Zum Teil lag das natürlich an den Flecken, die sie hinterließ – die Blutung hatte dank des fehlenden Herzschlags zwar längst aufgehört, aber sie hatten sie nicht von dem Blut befreit, das ihren gesamten Körper in eine einzige rote, glitschige Masse verwandelt hatte. Andererseits war auch der schwere Eisengeruch weder angenehm noch unauffällig. Je weiter sie in die schlechter belüfteten Bereiche der Unterstadt und dadurch näher an Noryak herankamen, desto deutlicher rochen sie ihre Last.
Nach einer gefühlten Ewigkeit fanden sie sich in einer Seitengasse des N4-Centers wieder, in die Schatten und um ihr Opfer gedrängt, um nicht entdeckt zu werden. Ariat kauerte am Eingang der Gasse und spähte hinaus. Niemand war auf dem verwaisten Platz zu sehen, also winkte sie hektisch nach ihren Begleitern.
Die ersten Anzeichen der Dämmerung begannen bereits, die Straße allmählich zu erhellen und sich mit dem Licht der Lampen dort zu vermischen. Mit seiner Last auf den Armen huschte Hemmon an Ariat vorbei, scheinbar nicht im Geringsten vom Gewicht der Toten beeinträchtigt. Haron hatte Mühe, nicht zurückzufallen, erreichte ihn aber noch rechtzeitig.
„Es genügt, Hemmon“, flüsterte er dem Riesen zu. „Leg sie ab, hier sollte sie schnell gefunden werden. Los, wir müssen von der Straße herunter!“
Mit einem Grunzen öffnete Hemmon die Arme und ließ den Leichnam einfach fallen. Unwillkürlich zuckte Haron zusammen bei dem dumpfen Geräusch, mit dem der nackte Körper auf dem Asphalt aufschlug. Er packte Hemmon und zerrte ihn zurück in die Schatten der Seitengasse.
Mit pochendem Herzen starrten sie einige Minuten auf die Straße hinaus. Die Tote lag an der Mauer des N4, Kopf und Schulter von einem der zahlreichen Lichtkegel dort erhellt.
Sie harrten aus, doch nichts rührte sich. Niemand schien sie beobachtet zu haben – zumindest keine menschlichen Zeugen. Dass die Überwachungskameras des Centers sie aufgezeichnet hatten, daran zweifelte Haron nicht. Aber sie waren vermummt – wenn auch blutverschmutzt – und Kameras tendierten selten dazu, Menschen nachzulaufen und ihren Unterschlupf zu orten.
Er nickte den anderen beiden zu und sah dabei wieder das Glitzern in Ariats Augen. Allmählich fürchtete er um den Verstand der jungen Frau. Aber wie er gesehen hatte, stand es mit seinem eigenen ebenfalls nicht zum Besten, also beließ er es bei einer gedanklichen Notiz an sich selbst.
Wem war heutzutage schon noch vollständig zu trauen.
Später sollte Esser klar werden, dass Karill die schreckliche Neuigkeit als Erster erfahren haben musste. Der betagte Spatz war seit den Morgenstunden apathisch auf einer Stuhllehne gesessen, derart von sich selbst absorbiert, dass sogar Mari auf eine
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