Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)
geprägtem Leben wünschte er sich, er könnte an einen Himmel und an Omen glauben.
Er blinzelte, um etwas Störendes aus seinen Augen zu vertreiben. Erst als er die Nässe an seinen Wangen fühlte, erkannte er, dass er weinte. Er konnte sich nicht einmal an seine letzten vergossenen Tränen erinnern, wusste nicht, ob er um Jerena geweint hatte. Doch jetzt lag er nur da, unfähig ein Wort zu sagen, und ließ die Tränen fließen, versank voll und ganz in seiner Trauer.
Irgendwann kam eine Schwester und schickte seine Familie hinaus. Was davon noch übrig war. Nur am Rande registrierte er dieses Geschehen, fand keine Kraft und keinen Willen in sich, um darauf zu reagieren.
Er hatte immer befürchtet, dass es kein gutes Ende nehmen konnte mit dem Kind. Seit Tare vom Dach des N4 gesprungen war, hatte er es geahnt. Jemand, der zwei so unterschiedliche Welten in sich trug, wurde irgendwann davon zerrissen. Aber sie war doch seine lachende Tochter gewesen, in ihrer grüblerischen Fröhlichkeit und mitfühlenden Art Jerena so ähnlich. Schrecklich zugerichtet, hatten sie gesagt. Wer konnte diesem zartfühlenden Kind etwas derart Bestialisches antun?
Innerlich fasste er den Entschluss, nicht wieder gesund werden zu wollen. In einer Welt, in der ihm ein geliebtes Wesen nach dem anderen genommen wurde, wollte er nicht weiterleben.
Als Jerena begonnen hatte, unter dem Krebs dahinzusiechen, hatte er alles getan, um sie zu retten. Egal wie kostspielig eine Untersuchung und Behandlung gewesen war, aus welcher Entfernung er die durchführenden Ärzte herbeiholen hatte müssen, er hatte nichts unversucht gelassen. Aber er hatte sie nicht retten können.
Die Ankunft seiner Tochter hatte ihn damals aus seiner lethargischen Trauer gerissen. Aber jetzt? Er war zu alt, um an ein weiteres Wunder zu glauben. Sein Leben war gelebt.
Widerwillig beäugte er den Schlauch, der eine klare Flüssigkeit aus einem Beutel in seine Vene tropfen ließ. Künstliche Nährstoffe, um ihn bei Kräften zu halten. Er schloss die Augen, zu erschöpft um etwas dagegen zu unternehmen.
Einer unaufhaltbaren Macht gleich stürmte Xenos die Tunnel entlang, die Maske des Alters ebenso abgeworfen wie seine Verhüllung. Beides hätte ihn nur verlangsamt. Wer ihm begegnete, wich rasch aus, um verwundert den ausgemergelten Körper zu betrachten, an dem kein Zentimeter unverletzt geblieben war. Nur wenige hatten ihren Anführer bisher so unverhüllt gesehen. Er wusste, dass kein anderer diese extreme Stufe der Selbstverletzung erreicht hatte – er selbst hatte schließlich die Wunden versorgt – und welchen Respekt allein seine Erscheinung einflößte. Die Wut aber, die aus seinen Augen sprühte wie Funken, war der wahre Grund für ihr Zurückweichen. Sollten sie nur daran erinnert werden, wer sie hier unten versammelt, ihnen ein Leben und ein Ziel gegeben hatte.
Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, riss er das Tuch vom Eingang zu Harons Wohnbereich und stürmte hindurch. Die vier anderen, die sich dort versammelt hatten, würdigte er kaum eines Blickes.
„Hinaus“, knurrte er in einem derart gutturalen Ton, dass alle Anwesenden zusammenzuckten. Maretha sprang sofort auf, um seinem Befehl Folge zu leisten. Hemmon und Tiriot sahen aus, als hätten sie gerne Widerstand geleistet, doch Marethas hastiger Rückzug hatte scheinbar Eindruck hinterlassen. Mit ein wenig mehr Ruhe als sie verließen die beiden den Raum.
Ariat aber starrte ihm feindselig entgegen. Ihre Jugend schützte sie vor einigem Wissen, aber sie konnte sich noch gut daran erinnern, wer sie hierher gebracht hatte, und unter welchen Umständen. Xenos hatte es immer schwierig gefunden, einen Zugang zu dem hasserfüllten Kind zu finden, das sie gewesen war. Mittlerweile war das Kind verschwunden und zurück blieb eine verbitterte junge Frau, die in allem und jedem einen Feind sah. Üblicherweise nahm er Rücksicht auf die seelischen Verletzungen, die seine Schützlinge trugen. Heute jedoch hatte er keine Zeit für solcherlei Gefühle.
„Ariat“, grollte er, „ich wiederhole mich nicht. Geh oder ich schaffe dich eigenhändig hinaus.“
Trotz seines Alters traute er sich die Bändigung der kräftigen, aber kleinen Frau durchaus zu. Als sie nur kämpferisch das Kinn vorschob, spannte er bereits die Muskeln an, um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Dann aber sprach Haron.
„Es ist gut, Ariat. Geh.“
Sie wandte den Kopf und maß ihn mit durchdringenden Blicken, dann nickte sie und
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