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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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wandte Zarail sich seinem Bruder zu. „Du denkst an Puristen, aber hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass du solche Verletzungen in jedem Viertel der Stadt finden kannst? In jeder Fabrik geschehen Unfälle, die solche Merkmale verursachen können, und es würde mich auch nicht wundern, wenn jährlich genug Natürliche mit ähnlichen Deformierungen geboren werden würden.
    Hast du schon einmal über dein eigenes Umfeld hinaus nachgedacht? Willst du alle Einarmigen der Stadt hinrichten lassen, in der Hoffnung, den einen zu erwischen, der Schuld hat am Tod unserer Schwester? Und nicht einmal das ist gewiss! Wer sagt, dass diejenigen, die sie dort abgelegt haben, sie auch ermordet haben?“
    „Also willst du nur hier sitzen und nichts tun? Warten, bis sie den Nächsten erwischen?“
    „Was stellst du dir denn vor, das wir tun sollten? Die Regierung zu einem Massaker aufrufen?“
    „Irgendwas! Alles ist besser als zuzusehen, wenn sie es wieder tun!“
    „Erran …“
    „Nein!“ Erran bebte unter dem ungewohnten Sturm der in ihm tobenden Gefühle. Er wusste, dass er seine Wut auf ein falsches Ziel fokussierte, und bereute seine nächsten Worte, noch während er sie aussprach. Aber manche Dinge konnte man nicht zurücknehmen, vor allem nicht, wenn man tief in sich ihre Wahrheit fühlte.
    „Du hast in Niove seit Jahren nur noch eine Konkurrenz gesehen, ein Hindernis für deine Karriere und mehr nicht! Du hast nie versucht, den Menschen in ihr zu sehen, der sie geworden ist. Hat sie dir irgendetwas bedeutet? Wenn der nächste zerschundene Leichnam, den man findet, Irela ist, wirst du dann reagieren?“
    Irelas Gesicht wurde blass, sie ging mit leicht taumelnden Schritten zur Tür und aus dem Zimmer hinaus, während ihr Mann sich erhob. Er sah seinen Bruder einen Moment lang kalt und unerbittlich an, ehe er ihm mit aller Kraft die Faust ins Gesicht donnerte.
     
    Atlan erfuhr es erst zwei Tage, nachdem die Leiche identifiziert wurde. Er kam nur selten dazu, die Nachrichten zu verfolgen – einschneidende Erlebnisse erfuhr er durch seine Schützlinge meist aus erster Hand.
    Es war nach der Messe, als eine vom Alter gebeugte Frau ihn sanft, aber beharrlich am Ärmel zupfte. Er verabschiedete das junge Paar, das die Gesprächszeit nach dem Gebet genutzt hatte, um ihre bevorstehende Heirat zu besprechen, und wandte sich der vermeintlichen Bittstellerin zu.
    Sie jedoch drückte ihm nur einen Datenträger in die Hand und sah ihn aus mitfühlenden Augen an. Sacht berührte sie seine Wange und murmelte: „Es tut mir so leid, mein Junge.“
    Dann schlurfte sie ohne ein weiteres Wort aus der Gebetsstätte.
    Verwirrt sah er ihr nach, wurde aber gleich darauf von den nächsten Trostbedürftigen in Anspruch genommen. Erst spät abends, als er allen Pflichten nachgekommen war, nahm er den Datenträger wieder zur Hand. Die Begegnung war äußerst seltsam gewesen, er wusste nicht so recht, wie er sie einordnen sollte. Welchen Grund sollte jemand haben, ihm sein Beileid auszusprechen?
    Außerdem waren Datenträger teuer und wurden daher in der Unterschicht selten genutzt. Was konnte wichtig genug sein, um es darauf abzuspeichern und ihm zu geben?
    Unentschlossen drehte er den winzigen Kubus eine Weile in der Hand, ehe er ihn aktivierte. Der Monitor in seinem Arbeitszimmer war außer Sicht, daher projizierte sich das Bild stattdessen auf ein Hologramm in den Raum hinein. Die Bilder waren nicht so klar, wie sie es auf dem Monitor gewesen wären. Trotzdem drehten sie ihm den Magen um.
    Die blutige Masse, die von der Straße geborgen wurde, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit dem lebensfrohen und liebenswerten Menschen, der Abend für Abend seine Pflichten geteilt hatte. Aber um jedes Missverständnis auszuschließen, war im oberen Eck ein Foto eingeblendet, von dem aus Niove ihn anlächelte wie an all den gemeinsamen Tagen. Er hatte gedacht, ihre Familie wäre hinter ihre geheimen Ausflüge gekommen und hätte sie unterbunden. Wie hätte er so etwas ahnen sollen?
    Es wurden Ausschnitte der Überwachungsaufzeichnung gezeigt, die ihm umso mehr zu Herzen gingen, da er die Vermummung eindeutig erkannte. Sein verehrter Engel war von denselben Leuten zerfleischt worden, denen sie so sehr hatte helfen wollen. Er konnte mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass unter den drei Gestalten niemand war, der Niove in ihrer Rolle als Freiwillige gekannt hatte – die Puristen schickten ausschließlich Frauen zu den Gebetsstätten, und mindestens zwei

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