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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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rasch, Schläge und Demütigungen hinzunehmen und zu erdulden.
    Allerdings hätte zu seiner Zeit kein Adept die Befugnis gehabt, das Tor des Klosters zu öffnen. Waren keine Priester verfügbar? Irgendetwas war hier äußerst seltsam. Der ihm unbekannte Adept fragte ihn nicht einmal nach seinem Begehr, öffnete nur stumm das Tor weiter und ließ ihn ein. Atlan nickte ihm zu und trat ein, war jedoch nicht gefasst auf die Flut von Erinnerungen – viele davon alles andere als positiv – die ihn beim Betreten der Abtei bestürmte.
    Sofort versuchte ein Teil in ihm, in seine alte Rolle zurückzufallen, wollte sich ängstlich und geduckt aus der Gefahrenzone bewegen, fort von allen Orten, an denen man von Priestern oder älteren Mitbrüdern aufgespürt werden konnte. Es kostete ihn nicht nur geistige, sondern auch körperliche Überwindung, aufrecht zu bleiben und mit angemessener Ruhe und Würde den Gang hinabzugehen. Der Adept wirkte, als wollte er etwas sagen, doch sobald Atlans Blick auf ihn fiel, presste er nur die Lippen aufeinander und sah zu Boden.
    Atlan stutzte. Dann erkannte er, was den Jungen beunruhigte: Er war jetzt ein Priester – eine Tatsache, die er beinahe schon wieder vergessen hatte, ebenso wie den Grund, wieso er die schwarze Robe einmal so sehr herbeigesehnt hatte. Bisher hatte die Weihe keinerlei Veränderungen für ihn gebracht, doch in der Abtei war er nun in einer ihm bisher völlig unbekannten Position. Außer dem Meister selbst hatte nun kaum noch jemand Macht über ihn, selbst den älteren Priestern sollte er durch seine Leitung eines Gebetshauses hierarchisch überlegen sein.
    Er versuchte, den Adepten zu beruhigen. „Danke, dass du mir geöffnet hast. Von hier aus komme ich alleine zurecht, ich kenne den Weg.“
    Der Junge sah nicht erleichtert aus, eher schien er bei jedem Wort weiter in sich zusammenzusinken. Aber mehr konnte Atlan nicht tun. Warum war denn auch kein Priester gekommen, um ihn in Empfang zu nehmen? Ein Adept hatte kein Recht, ihn auszufragen. Er riskierte eine Bestrafung, egal ob er ihn passieren ließ oder aufhielt. Eigentlich hätte Atlan wieder gehen sollen, um dem Adepten diese Situation zu ersparen, doch die merkwürdige Stille, die das Kloster ausfüllte, hielt ihn davon ab.
    Mit leichten Gewissensbissen wandte Atlan sich in die Richtung, die seine Erinnerung ihm wies. Nach außen hin ruhig und gefasst ging er den Gang hinunter.
    Oberflächlich betrachtet schien sich in seiner Abwesenheit nichts verändert zu haben, doch die Details offenbarten ein anderes Bild. Weiterhin war der Flur, der zu den Arbeitsräumen der Priester und den Gebetssälen führte, von Tischen gesäumt. Aber statt der Schalen mit Speisen, die früher vereinzelt für etwaige Besucher bereitgestanden hatten, waren jetzt nur noch Krüge mit abgestandenem Wasser aufgestellt. Die asketische Einrichtung war dieselbe, die bereits zu Atlans Zeiten hier gewesen war. Aber wohin er auch ging, alles wirkte wie ausgestorben.
    Er begegnete niemandem, nicht einmal Novizen auf ihren allfälligen Wegen vom Unterricht zu den Arbeitsstunden. Die geisterhafte Stille trug noch mehr zu dem Unbehagen bei, das beständig in ihm wuchs. Nur mit Mühe bekämpfte er das immer dringlicher werdende Bedürfnis, Blicke über die Schulter zurückzuwerfen.
    Innerlich atmete er erleichtert auf, als er endlich die Tür erreichte, die zu den Räumen führte, die Meister Seru vorbehalten waren. So sehr die Furcht vor Seru auch in ihn hineingeprügelt und dort verankert worden war, war sie doch etwas, das er sein Leben lang gekannt hatte – im Gegensatz zu den auf unheimliche Weise entvölkerten Gängen des Klosters.
    Er klopfte und drückte gleichzeitig die Klinke nieder. Sollten die Räume dahinter ebenso verlassen sein wie die übrige Abtei, wäre die Tür verschlossen. Doch mit einem leisen Klacken schnappte sie aus dem Schloss und glitt geschmeidig nach innen. Atlan drückte sie zur Gänze auf und erstarrte vor Verblüffung. Der Schwarzgewandete, der ihn mit kaltem Blick empfing, war nicht derjenige, den er erwartet hatte.
    Wo war Seru?
    Atlan fühlte sich in einer verkehrten Welt gefangen, wie bei einem Blick auf die andere Seite des Spiegels. Alles war bekannt und doch gleichzeitig grundlegend falsch. Während sie einander noch mit Blicken maßen, erhob Lorio sich langsam hinter dem Pult, an dem er gesessen hatte. Seine Stimme war ebenso hart wie der Ausdruck in seinen Augen, als er das Wort ergriff.
    „Sieh an, der

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