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Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure)

Titel: Das Unglueck Mensch (Darwin's Failure) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Madeleine Puljic
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verbrachte er wie in einem Albtraum. Immer wieder ging er im Geist seine Zeit mit Niove durch, suchte nach Anzeichen, dass er ihr Schicksal hätte ändern können. Sie hatte auf seine Bitte hin die Vorkommnisse im Center und dadurch die Geschäfte des Klosters durchforscht. Hatte sie dabei etwas aufgedeckt, das sie das Leben gekostet hatte?
    Konnte es sein, dass solche Aktionen wie die Ermordung eines Klons – seiner Niove – in Wahrheit ihren Ursprung hinter den Mauern der Abtei hatten? Die Informationen, die er aus den Nachrichten auf dem Datenträger herausgelesen hatte, machten eine zufällige Auswahl des Mordopfers unwahrscheinlich. Zu viel Politik lag in ihrem Umfeld.
    Ein spontaner Anschlag war dadurch auszuschließen. Mit welchem Grund sollten die Reinen außerdem plötzlich zu solchen Methoden greifen? Sie hatten sich bisher immer ruhig verhalten. Serus Gier nach Macht traute er dagegen einen so kaltblütigen Schritt durchaus zu.
    Der Gedanke, dass er auf irgendeine Weise mitgeholfen haben könnte, Niove dieses Grauen anzutun, brachte ihn um seinen Schlaf und seinen Lebenswillen. Abend für Abend saßen seine Anhänger einem schweigenden Priester gegenüber. Er hatte nicht die Kraft, seine Gedanken lange genug festzuhalten, um eine Rede vorzubereiten.
    Umso weniger verstand er, warum sie sich immer wieder in seinem Gebetshaus einfanden, wo er ihnen doch nichts geben konnte. Er hatte nicht geahnt, wie rasch sich Berichte und Gerüchte unter den Gläubigen verbreitet hatten, bis sich eines Abends ein Mann von seinem Platz in den Bänken erhob und plötzlich an seiner statt eine Predigt hielt.
    Die Worte des Mannes kamen Atlan vertraut vor. Es waren seine eigenen, die Essenz aus unzähligen Malen, die er sich auf diese Weise an seine Gemeinde gewandt hatte. Dennoch konnte er nur fassungslos lauschen. Der Mann war weder sonderlich groß noch klein, er war von durchschnittlicher Statur und hatte eine ruhige, fast schüchterne Stimme. Atlan konnte sich nicht erinnern, jemals persönlich mit ihm gesprochen zu haben, aber das Gesicht des Mannes hatte auch nichts an sich, das einem in Erinnerung geblieben wäre.
    Und doch stand er hier und redete davon, dass sie im Tod alle gleich waren, dass Gott allein richten durfte und es ihre Taten waren, die bestimmten, wer sie im Leben waren. Mit keinem Wort erwähnte er Niove, was sie gewesen war und was sie in ihrer Mitte zu suchen gehabt hatte, aber jedes Wort trug ein stummes Requiem in sich. Atlan wusste, dass sie immer befürchtet hatte, für einen Spitzel gehalten und ausgestoßen zu werden, wenn die anderen ihre Herkunft herausfinden würden. Er wünschte, sie hätte sehen können, wie die Gemeinde nun wirklich zu ihr stand.
    Er war immer noch sprachlos, als der Unbekannte seine Rede beendete und Atlan noch einmal zunickte, ehe er gemeinsam mit den übrigen Gläubigen die Gebetsstätte verließ.
    Seine einstige innere Ruhe war nicht so einfach wiederzufinden, aber Atlan gab sein Bestes, um seinen Pflichten erneut nachzukommen. Am nächsten Abend hielt er bereits wieder selbst eine Predigt, so ungelenk sie auch noch war. Er suchte die Anwesenden nach dem Mann ab, der ihm geholfen hatte, aber so sehr er sich auch anstrengte – der Unbekannte war einmal mehr in der Menge untergetaucht.
     
    Am darauffolgenden Tag fand sich Atlan zum ersten Mal, seit er fortgeschickt worden war, wieder vor den Toren des Klosters ein. Es war an der Zeit, die rasenden Zweifel in seinem Inneren auszumerzen. Er war kein Novize mehr, kein Kind, das sich durch Schläge mit der Rute einschüchtern ließ. Heute würde er Antworten verlangen, und nicht eher nachlassen, bis er sie bekam.
    Er pochte mit donnernden Schlägen an das Eingangstor, was allerdings weniger an den Emotionen lag, die sich in ihm aufgestaut hatten – es war einfach unmöglich, leise an das schwere Tor zu klopfen und dabei im Inneren noch Gehör zu finden. Ebenso wenig war von außen festzustellen, ob hinter den Mauern der Abtei auf das Pochen reagiert wurde. Geduldig wartete er also eine Weile, doch nichts tat sich. Er ließ die Faust gerade noch ein paar Mal auf die massive Oberfläche krachen, als sich das Tor unvermutet nach innen bewegte.
    Ein blasses Gesicht schob sich durch den Spalt und wäre beinahe von Atlans Faust getroffen worden, hätte er seine Bewegung nicht rechtzeitig abgebremst. Der Adept zuckte nicht zurück, was Atlan unglücklicherweise nicht weiter wunderte. Wer hinter diesen Mauern aufwuchs, lernte

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