Das unheimliche Haus
Siamkater war gerade auf seine Schulter gesprungen und blickte aus tiefblauen Augen neugierig zu dem großen Mann mit der Sonnenbrille.
»Reizend«, bemerkte Sperling. »Was für ein wunderschönes
Tier.« Und fast im selben Atemzug meinte er noch: »Ach, geben Sie mir doch eine Packung >Brasilianos<.« Dabei holte er einen nagelneuen Hundertmarkschein aus der Innentasche seiner Jacke. Der Kioskbesitzer gab das Wechselgeld heraus, und während sich der Kater in den Schatten aufeinandergestapelter Getränkekisten zurückzog, bedankte sich Sperling noch einmal überschwenglich für die hilfreiche Briefübermittlung und spazierte sehr eilig davon.
Er durfte keine Zeit verlieren.
Beim »Mandarin« mußte man darauf gefaßt sein, daß er sich im Bunker erkundigte, wie lange der Dicke unterwegs gewesen sei, und er wußte ja, wieviel Zeit man für die Fahrt zum Zeitungskiosk und zurück etwa brauchen würde.
Im äußersten Falle durfte Sperling zur Erledigung seiner Privatgeschäfte eine knappe halbe Stunde riskieren.
Es war ihm durchaus klar, daß er sich ganz schön aufs Glatteis wagte, und er hatte seine kleine Extratour nicht ohne Umsicht geplant. Aber gleichzeitig war er im Begriff, eine Riesendummheit zu machen. Es ist nicht zu fassen, aber selbst für einen so ausgekochten Burschen wie den dicken Sperling gab es Momente, in denen er nicht viel weiter dachte als eine Ameise oder ein Kolibri.
Er hatte sich in einem günstigen Augenblick zehn falsche Hundertmarkscheine unter den Nagel gerissen. Einer davon war inzwischen bereits in die Kasse des Kioskbesitzers Wildenbusch gewandert.
Selbstverständlich hätte er es nicht wagen können, mit den Blüten direkt am Einzahlungsschalter der Post aufzukreuzen. Schließlich waren Kassierer aller Art im Erkennen von Falschgeld geschult, und wenn er seine nagelneuen Scheine nebeneinander hingeblättert hätte, würde man sie wohl besonders aufmerksam betrachtet haben.
Es blieb Sperling also nichts anderes übrig, als im kleinen dieselbe Methode anzuwenden, mit der auch die Großverteiler und ihre Organisation im großen Stil das gesamte Bunkerfalschgeld in allen Großstädten schlagartig unter die Leute bringen würden.
Die Sache war ganz einfach: Man kaufte eine Kleinigkeit und ließ sich das echte Wechselgeld herausgeben.
Dazu waren die Hauptgeschäftszeiten in Warenhäusern besonders geeignet, wenn die Kassen kaum Zeit hatten, sich das eingenommene Geld genauer anzusehen. Zudem konnte man notfalls in der Masse der Kunden untertauchen. Aber auch kleinere Geschäfte hatten ihre Vorzüge. Ihre Inhaber dachten überhaupt nicht an so was wie Blüten und hätten sie nur erkannt, wenn sie von irgendeinem verdammten Anfänger gefälscht worden wären. Schließlich konnte auch die Fahrt von einer Tankstelle zur anderen lohnend sein. Man bezahlte ein paar Liter mit Falschgeld und ließ das Benzin auf dem Weg zur nächsten Tankstelle wieder auslaufen.
Im übrigen hatten geübte Verteiler bei ihren Absatzversuchen immer nur ein einziges Exemplar der falschen Banknoten bei sich, damit sie behaupten konnten, selbst auf eine Blüte hereingefallen zu sein, falls sie geschnappt werden sollten.
Schon gegen diese Grundregel mußte der dicke Sperling verstoßen, denn er war ja ganz auf sich allein gestellt. Sollte es passieren, daß er aufflog, und man fand dann noch andere Scheine bei ihm, dann halfen ihm keine Ausreden, und er war geliefert.
Deshalb durfte er einfach nicht auffliegen.
Eine Fleischerei gleich um die Ecke bot sich an. Durch das Schaufenster waren Hausfrauen zu sehen, die sich unterhielten und darauf warteten, bis sie bei Meister Karfunkel an die Reihe kamen.
Sperling wandte sich der Wurstabteilung zu, die im Augenblick weniger begehrt war und von einer jüngeren Verkäuferin betreut wurde. Der Mann mit der Sonnenbrille ließ sich ein Stück Leberwurst abschneiden, bezahlte mit einem Hundertmarkschein und bekam anstandslos das Wechselgeld zurück.
Als der Dicke wieder auf der Straße war, ließ er die Leberwursttüte bei der nächstbesten Gelegenheit in einem Papierkorb verschwinden und warf einen Blick auf seine Uhr.
»Du liebe Zeit, ich muß mir Beine machen«, murmelte er und steuerte an ein paar Bäumen vorbei auf den Wochenmarkt und dort auf einen Obst- und Gemüsestand zu.
»Ein Pfund Orangen«, sagte er, knipste sein Nonstoplächeln an und angelte die dritte Blüte aus seiner Tasche.
Schein Nummer vier blieb in einer Drogerie, nachdem sich Sperling eine
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