Das unheimliche Haus
Rasiercreme geleistet hatte, und mit Nummer fünf bezahlte er in einer Papierwarenhandlung eine bunte Ansichtskarte von Bad Rittershude. »Eine bezaubernde Stadt«, versicherte er, während er das Wechselgeld einstrich. »Die Thermalquellen sind dabei, einen völlig neuen Menschen aus mir zu machen.«
Anschließend tigerte er wieder zu seinem Wohnwagen zurück und verlegte sein nächstes Betätigungsfeld bereits in die Nähe der Hauptpost. Die Zeit drängte. Er mußte noch fünf Scheine loswerden, und zwar dalli.
Der Dicke verteilte die Blüten rund um die Rabenstraße und hinter dem Karlsplatz.
Im Erdgeschoß des Kaufhofs erstand er im Sonderangebot eine Flasche Fleckenreinigungsmittel und in der zweiten Etage gleich neben dem Lift ein Paar billige Nylonsocken mit einem gräßlichen grün-roten Karomuster. Gleich gegenüber in einem Supermarkt entschied er sich für ein Joghurt mit Himbeergeschmack und in einem Eisenwarengeschäft für einen einfachen Dosenöffner.
Mit der letzten Blüte kaufte er noch einmal eine Schachtel Zigarillos, wie anfänglich am Zeitungskiosk, und auch wieder »Brasilianos«, seine Leibmarke.
»Sie sind mild, haben trotzdem Aroma und ziehen gut«, sagte er. Herr Bemmelmann stimmte ihm zu, zählte das Wechselgeld auf den Ladentisch und legte noch eine Schachtel Streichhölzer daneben. »Sehr freundlich«, meinte Sperling mit seinem Sperlinglächeln und ließ Zigarillos, Geld und Streichhölzer in seinen Taschen verschwinden. »Auch bei der Kur möchte ich auf eine gelegentliche Tabakwolke nicht verzichten.« Herr Bemmelmann war auch jetzt wieder seiner Meinung. »Wenn die Ärzte ihren Patienten das Rauchen verbieten«, bemerkte er, »vergessen sie ganz, daß der Genuß dem Wohlbefinden zuträglicher sein kann, als das bißchen Nikotin vielleicht schadet.«
»Ein weises Wort«, erwiderte Herr Sperling.
»Das Wort eines Tabakwarenhändlers«, meinte Herr Bemmelmann und lächelte.
Im Hauptpostamt war Sperling um diese Zeit der einzige Kunde. Der Beamte hinter dem Einzahlungsschalter brütete über einem Kreuzworträtsel. Er blickte kaum auf, als er dem korpulenten Mann mit der Sonnenbrille das gewünschte Überweisungsformular zuschob.
»Bitte, per Eilboten«, sagte Sperling, nachdem er es ausgefüllt hatte und dann neunhundert Mark aus der Tasche holte. »Wann wird das Geld in Travemünde ankommen?«
»Falls Sie Glück haben, noch heute«, meinte der Mann hinter dem Schalter. »Bei weniger Glück, morgen vormittag.«
»Na also«, sagte der dicke Sperling und stellte sich vor, wie die platinblonde Isabelle aufatmen würde, wenn heute oder morgen plötzlich der Geldbriefträger vor ihrer Tür stand. Genugtuung breitete sich in ihm aus und das Gefühl, daß er doch ein ganz famoser Bursche sei.
Um wieder aus der Stadt herauszukommen, mußte er mit seinem Wohnmobil auch am Prinz-Ludwig-Gymnasium vorbei.
Dort lag der Schulhof total leer in der prallen Sonne. Aber das sollte sich bald ändern.
Während Studienrat Wagemann in der 9 b beim Äquatorerklären bereits vom Viktoria-See bis zum Amazonas hinübergehüpft war, wanderte er selbst gemütlich zur Fensterseite des Klassenzimmers und blickte an der Kastanienbaumspitze vorbei zum Himmel. Wolken kamen vom Gaskessel herüber und schoben sich auf die Sonne zu. »Mit Hitzefrei wird’s heute wohl nichts«, meinte er.
»Dann fällt auch das Angeln ins Wasser«, bemerkte Emil Langhans, und die ganze Klasse grinste. »Ein paar Fische werden sich darüber freuen.«
»Ach, weißt du, die Beute ist beim Angeln gar nicht so wichtig«, erwiderte der Studienrat. »Aber am Ufer sitzen und in aller Seelenruhe ins Wasser gucken, seinen Gedanken nachhängen, ganz und gar die Schule vergessen...« Er blickte noch eine Weile stumm in den Himmel. Dann zuckte er mit den Schultern und wandte sich wieder der Klasse zu. »Also, zurück zum Äquator...«
Der dicke Sperling rollte inzwischen längst über die Landstraße. Er hatte sich die falschen Bärte aus dem Gesicht genommen und den lästigen Hut auf den Beifahrersitz gefeuert. Er hatte sein Autoradio eingeschaltet, pfiff wieder vor sich hin und schwebte auf einer Wolke von Zufriedenheit.
Dabei hätte er allen Grund gehabt, besorgt zu sein.
Etwa im selben Augenblick platzte der Tabakwarenhändler Bemmelmann im Salon von Herrn Treutlein zur Tür herein.
Chefredakteur Kubatz war von Fritz gerade eingeseift worden, sein Vater wusch dem Zeitungskioskbesitzer Wildenbusch den Kopf, und Polizeimeister
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