Das unheimliche Haus
Dort hingen an einem Schlüsselbrett ein paar Handtücher und eine gebrauchte Schürze. Die Tischplatte des Geschirrschranks war aufgeräumt und blank. Kein Heft, kein Papierblock oder dergleichen.
Aber da hing ein Wandkalender gleich neben dem Türrahmen.
Sie ging behutsam die paar Schritte hinter die Tür und stellte sich genau dorthin, wo Frau Schiemann an dem betreffenden Abend gestanden war, als sie deren Schatten beobachtet hatte. Jetzt hing der Kalender fast vor ihrer Nase, und sie konnte ihn mit einer Handbewegung von der Wand nehmen. Sie hielt sich gar nicht damit auf, Blatt für Blatt zu untersuchen, sondern drehte den Kalender einfach um.
Die Zahlen waren mit Bleistift geschrieben und standen ganz unten in der linken Ecke auf der Rückseite.
Von draußen war immer noch Frau Schiemanns Stimme zu hören. Anscheinend wollte sich eine Reisegruppe von acht Personen anmelden. »Würden Sie Vollpension wünschen oder nur Übernachtung mit Frühstück?«
Der Kriminalassistentin blieb genügend Zeit zum Abschreiben der Zahlen. Schon hing der Kalender wieder an der Wand.
Der hellblonde Medizinstudent Ingo Papritz zog sein Telefongespräch mit der Pensionsbesitzerin hartnäckig in die Länge.
Seine künftige Frau schlenderte währenddessen wieder an ihren alten Platz zurück. Selbstverständlich hätte sie die Küche mit einem Durchsuchungsbefehl auch ganz offen auf den Kopf stellen können. Aber dann hätte Frau Schiemann mitbekommen, daß es ihr gelungen war, die Telefonnummer zu finden, und dann wäre der geheimnisvolle Teilnehmer sicherlich schon fünf Minuten später gewarnt gewesen.
Im Korridor schien das Telefongespräch nun doch seinem Ende zuzugehen. Jedenfalls sagte die Pensionsbesitzerin schon zum drittenmal: »Besten Dank und auf Wiedersehen.«
»Eine Reisegesellschaft«, erklärte Frau Schiemann, als sie vom Flur zurückkam. »Acht Personen und tausend Fragen.«
»Leider ist es für mich nun doch ein wenig spät geworden«, sagte Fräulein Schärer unvermittelt und blickte auf ihre Armbanduhr. »Aber vielleicht darf ich mich ein andermal zu einem Kaffee einladen?«
»Jederzeit«, erwiderte die Pensionsbesitzerin lächelnd und versicherte, daß sie sich sofort melden würde, falls Hugo Stielicke doch noch etwas von sich hören lassen sollte.
»Warum hast du gleich eine ganze Reisegesellschaft erfunden?« fragte Ursula Schärer, als sie kurz danach wieder neben ihrem Verlobten in dem klapprigen VW saß und sich jetzt zur Kriminalpolizei kutschieren ließ.
»Bei Einzelreisenden wäre sie vielleicht kürzer angebunden gewesen«, meinte der hellblonde Ingo. »Aber eine Gruppe mit acht Personen für eine ganze Woche, das ist ein Fisch, den man nicht so schnell abwimmelt.«
»Kluges Kind«, meinte die Schärer und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.
Leider war das Büro von Kommissar Jascheck leer wie ein weggeworfener Schuhkarton, und niemand ahnte, wo er sich im Augenblick herumtrieb. Er hatte sich für ein paar Tage abgemeldet. Selbst sein Vorgesetzter wußte nicht Bescheid, weil das Frankfurter Sonderkommando Herrn Jascheck ohne Angabe von Gründen vorübergehend vereinnahmt hatte.
Die Sache war geheimnisvoll, und man tat auch so.
Jedenfalls konnte sich die Kriminalassistentin Ursula Schärer ihre Telefonnummer vorerst an den Hut stecken. Sie fragte aber doch bei der Auskunft, welcher Ort über die vierstellige Vorwahl zu erreichen sei. Es stellte sich heraus, daß es ein gewisses Bad Rittershude war.
Von einem Bad Rittershude hatte die Kriminalassistentin noch nie etwas gehört.
Ein Mann bringt seinen Rücken im Thermalbad vorbei
In Bad Rittershude rührte sich noch immer kein Lüftchen, und die Sonne schien so blendend hell wie schon in den vorangegangenen Tagen.
Der Mann hatte eine Stinkwut im Bauch und brodelte innerlich wie ein Vulkan kurz vorm Feuerspucken. Wenn er jetzt nicht aufpaßte, würde er unweigerlich explodieren.
»Ich muß mich unbedingt beruhigen«, sagte der »Mandarin« zu sich selbst. »Kein Mensch kann vernünftige Entscheidungen treffen, wenn ihm der Puls in den Ohren hämmert. Und auf vernünftige Entscheidungen kommt es jetzt an. Ich muß einen klaren Kopf behalten, oder alles ist im Eimer. Heiliger Strohsack, ich hab’ doch nicht ahnen können, daß dieser Fettwanst Sperling ein solcher Trottel ist!«
Er warf sich in seinen Wagen und gondelte zum Städtischen Thermalbad. Dort kannte man ihn. Die Frau an der Kasse begrüßte ihn freundlich, ebenso der junge
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