Das unheimliche Haus
Stimme.
»Guten Morgen, Herr Hauptkommissar«, antwortete Herr Jascheck. »Leider hatte ich noch ein Gespräch auf dem Hausapparat«, schwindelte er. »Entschuldigung, wenn Sie warten mußten.«
»Schon in Ordnung«, meinte der Vorgesetzte aus Frankfurt. Er erkundigte sich höflich nach dem Befinden und dann nach dem Wetter in Berlin. Er bemühte sich um einen freundlichen Plauderton und tat so, als ob er ewig Zeit hätte. Aber dadurch ließ sich Kommissar Jascheck nicht täuschen. Er war auf der Hut und auf jede Art von Überraschung gefaßt. Wenn der Hauptkommissar anrief, dann hatte das meistens einen unangenehmen Grund. Aber damit hielt er vorerst noch hinter dem Berg. Nicht umsonst nannte man ihn den »Fuchs mit den fünf Schnauzen«. Seine Mitarbeiter fürchteten ihn beinahe ebenso wie die Gangster, die er gnadenlos jagte und am Ende immer aufspürte. Er hatte seinerzeit auch Hugo Stielicke auffliegen lassen und hinter Gitter gebracht. Der »Mandarin« war ihm allerdings damals durch die Finger gerutscht.
Und ausgerechnet um diese beiden Männer ging es.
Zunächst einmal um Hugo Stielicke.
Die Stimme Hauptkommissar Havelsteins hatte inzwischen einen sachlichen, völlig dienstlichen Ton angenommen. »Nach meinen Unterlagen ist die betreffende Person bei Ihnen unter Polizeiaufsicht gestellt.«
»War«, unterbrach ihn Kommissar Jascheck. »Ein halbes Jahr lang- Aber am vergangenen Donnerstag ist seine polizeiliche
Meldepflicht abgelaufen.«
»Dann haben Sie ihn also am Donnerstag zum letztenmal gesehen?«
»So ist es, Herr Hauptkommissar.«
»Kennen Sie seine Adresse?«
Herr Jascheck hatte sie im Kopf. »Pension Flora in der Clausewitzstraße.«
»Würden Sie mir einen Gefallen tun?«
Kommissar Jascheck paffte eine Zigarettenrauchwolke über seinen Schreibtisch und mußte grinsen. Als Chef eines Sonderdezernats konnte ihm der Hauptkommissar Befehle und Anweisungen erteilen, wann immer er wollte. »Ich stehe zur Verfügung«, sagte er.
»Also, mich würde interessieren, ob sich Stielicke nach wie vor in dieser Pension aufhält.« Die Stimme im Telefonhörer machte eine Pause. »Um ehrlich zu sein, habe ich Grund zur Annahme, daß der Vogel ausgeflogen ist.«
»Darf ich fragen, ob irgend etwas gegen ihn vorliegt, ich meine, etwas Neues?«
»Nicht direkt«, wich der Hauptkommissar aus. »Aber es gibt da Zusammenhänge, die mich zum Kombinieren veranlassen.«
Jascheck beugte sich unwillkürlich dichter über den Telefonapparat. »Wäre es zu neugierig, wenn ich um nähere Tatbestände bitte?«
»Nun, da wäre einerseits das plötzliche und spurlose Verschwinden eines gewissen Kroll, mit Vornamen Otto...«
»Nicht gerade unbekannt«, stellte Jascheck fest.
»Ganz im Gegenteil«, erwiderte der Hauptkommissar. »Otto Kroll gehört zusammen mit Stielicke in Sachen Falschgeld sozusagen zum Hochadel. Unser Freund Hugo Stielicke hat bei dieser Betrachtungsweise allerdings einen Zacken mehr an der Krone.«
»Einerseits ist also Otto Kroll weggetaucht«, faßte der Berliner Kommissar nach. »Und was ist andererseits?«
»Andererseits«, wiederholte die Stimme am im Telefonhörer, »andererseits ist am Wochenende aus einem angeblich streng bewachten Lastzug Papier geklaut worden. Erstklassige Qualität. Hergestellt zu hundert Prozent aus Baumwolle und Leinen.« Er machte wieder eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Banknotenpapier.«
»Wumm«, bemerkte Kommissar Jascheck, und dann fragte er scheinheilig, weshalb der Diebstahl heute erst gemeldet würde, wenn die Tat doch schon am letzten Wochenende passiert sei.
»Leider haben sich die Verantwortlichen mit der Anzeige eine Menge Zeit gelassen«, erwiderte Herr Havelstein. »Vermutlich hatten sie Bammel vor der Blamage in den Zeitungen oder so was Ähnliches.« Ein Räuspern kam aus dem Telefonhörer. »Aber vielleicht haben sie anfänglich auch gehofft, daß sie den peinlichen Vorfall vertuschen können. Das hat nicht funktioniert.«
»Wir können uns also auf einiges gefaßt machen?«
»Mit Sicherheit«, meinte der Hauptkommissar und beliebte zu scherzen: »Es wird nicht lang dauern, bis Falschgeldblüten wieder einmal wuchern wie Ginster und Schlehdorn.«
»Kann man auf Grund der gestohlenen Papiermenge überblicken, welches Ausmaß die Fälschung haben kann?« fragte Herr Jascheck.
»Hängt ganz davon ab, auf welche Scheine sie sich einigen«, erwiderte der Hauptkommissar. Er war ziemlich groß, schlank und zwischen vierzig und fünfzig, mit
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