Das unheimliche Haus
Ampel stoppte, fuhr er, ohne zu überlegen, flott drauflos.
Hugo Stielicke lag wieder hinter den heruntergezogenen Fensterjalousien auf einem der beiden Betten, die Hände unter dem Kopf und die langen Beine übereinandergeschlagen. Genauso hatte er noch gestern und ein paar Wochen lang davor ziemlich häufig auf dem Sofa in seinem Zimmer Nummer 12 der Pension Flora gelegen. Einen Teil der Fahrt hatte er regelrecht verschlafen, aber zeitweise hatte er auch nur so vor sich hin gedöst. Jetzt wurde er munter. Das Wohnmobil mußte die Landstraße verlassen haben. Es federte gelegentlich, als ob es über Schienen und Pflaster ginge. Außerdem waren Geräusche zu hören.
»Hallo Partner«, rief der Mann, den man mit seinen weißen Haaren für einen Professor halten konnte, »den Namen werden Sie mir ja kaum verraten, aber wenn ich richtig vermute, dann kurven wir momentan durch eine Stadt oder so was Ähnliches?«
Der Dicke drehte in seiner Fahrerkabine den Kopf ein wenig herum. »Sie vermuten durchaus richtig«, brüllte er hinter sich durch das verhängte Fenster. »Wir befinden uns in London, und ich schlängele mich gerade vom Piccadilly in die Bondstreet hinein!«
»In London klingeln keine Straßenbahnen, Sie Komiker«, rief Stielicke zurück, »die haben sie dort schon vor fünfzig Jahren eingeschrottet.«
»Was Sie nicht sagen!« brüllte Sperling wieder und kicherte leise in sich hinein.
Als er kurz darauf die Stadt bereits im Rücken hatte, überholte er bei einer Abzweigung ein halbes Dutzend junger Radfahrer. Vor einer heruntergelassenen Bahnschranke in der Nähe einer Holzbrücke trafen sie sich noch einmal. Nebeneinander warteten sie, bis endlich ein Güterzug angezottelt kam und an ihnen vorbeiratterte.
Gleich danach zuckte Herr Sperling zusammen. Ein Summen, das sich in gleichmäßigen Abständen wiederholte, hatte ihn überrascht und aufgeschreckt. Es kam aus dem Funkgerät, das neben ihm auf dem Beifahrersitz lag. Er zog die Antenne heraus und drückte die Sprechtaste. »Wer dort? Bitte melden.«
»Hier Löwenzahn«, kam die Antwort aus dem kleinen Lautsprecher. Es klickte zweimal. Dann war ein Pfeifton zu hören, der aber sofort wieder abbrach. »Wo ist Ihr augenblicklicher Standort, Teekanne?«
»So etwa in zehn Minuten trudeln wir ein«, antwortete Sperling. »Ihr könnt schon das Badewasser einlassen und den roten Teppich ausrollen.« Ohne eine Entgegnung abzuwarten, schob er die Antenne wieder zurück. Dann ließ er das Funkgerät im Handschuhfach verschwinden.
Vorerst brauchte er es nicht mehr.
Gleich darauf war es jetzt Hugo Stielicke, der zusammen zuckte. Ganz plötzlich war es nämlich dunkel geworden, und die Radiomusik, die ihn bisher beim Dösen überhaupt nicht gestört hatte, wurde so dröhnend laut, daß er von seinem Bett auf sprang. Das Radio konnte nur von der Fahrerkabine aus gesteuert werden, und Sperling mußte es voll aufgedreht und gleichzeitig das Licht ausgeschaltet haben.
»Bei dir piept’s wohl!« brüllte Stielicke und hämmerte mit der Faust an die vordere Wand aus Kunststoff. Aber der Dicke gab keine Antwort.
Im ersten Moment glaubte Hugo Stielicke noch, daß seinem Komplizen nur ein Mißgeschick passiert sei, das er selber noch gar nicht bemerkt hatte. Aber dann wurde die Fahrt des Wagens auf einmal langsamer, es ging spürbar in zwei Kurven, die ziemlich eng sein mußten. Anschließend schlich der Kasten nur noch im Schritt-Tempo weiter. Es sah so aus, als wären sie angekommen, wo immer das auch sein mochte. Und jetzt war es Hugo Stielicke schlagartig klar, daß Sperling den Lautsprecher keinesfalls nur aus Versehen auf volle Touren geschaltet hatte. Vermutlich gab es draußen irgendwelche Geräusche, die er nicht hören sollte, weil sie vielleicht etwas über den Bestimmungsort verraten hätten.
Stielicke legte sich wieder aufs Bett, schlug erneut die Beine übereinander, nahm die Hände unter den Kopf und wartete ab.
Kurz darauf kam das Wohnmobil zum Stehen, aber nur für einen Moment. Es stotterte ein paar Meter zurück, und als es wieder geradeaus fuhr, ging es nochmals in eine Kurve und dann im Schneckentempo bergab. Hinter den verschlossenen Jalousien wurde es für einen Augenblick ganz dunkel. Dann drang von draußen eine Helligkeit herein, die von künstlichem Licht stammen mußte.
Der Wagen wippte weich, als er das Gefälle hinter sich hatte und wieder über ebene Erde rollte. Dann wurde er abgebremst. Gleichzeitig riß zuerst die Radiomusik ab
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