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Das unheimliche Haus

Das unheimliche Haus

Titel: Das unheimliche Haus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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verloren schien, holten sie ihn von der Ersatzbank. Und kaum daß er ausgewechselt war, riß er das Stadion von den Sitzen.
    Im Alleingang stürmte er über die ganze Länge des Spielfelds, umzirkelte elegant, was immer sich ihm in den Weg stellte, und knallte den Ball schließlich wie ein Torpedo am gegnerischen Torwart vorbei in die linke obere Ecke hauchdünn unter die Latte. Deutschland war dank Karlchen Kubatz Weltmeister. Man warf ihn in die Luft und trug ihn auf Schultern vor die Fernsehkameras.
    Selbstverständlich träumte er immer in Farbe. Und wenn der Mond, so wie heute nacht, als volle und runde Apfelsine über Bad Rittershude hinwegwanderte, träumte er besonders üppig. Daß Träume gelegentlich auch bedeutungsvoll und sogar hilfreich sein können, erfuhr er in dieser Nacht zum erstenmal.
    Ganz knapp vor Mitternacht, als Polizeimeister Kalender vom Spätdienst nach Hause kam und Chefportier Pelz im Hotel zum Kurfürsten gerade einen Blick auf die Schlüsselfächer warf und feststellte, daß sich sämtliche Gäste in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, drehte sich Karlchen Kubatz in seinem Bett auf die andere Seite und damit tief hinein in sein nächstes Abenteuer.
    Augenblicklich hockte er mit gekreuzten Beinen auf einem seidenen Kissen neben dem linken, mit Edelsteinen bestickten Schuh des Sultans von Eschnapur. Nicht weit von ihm und neben dem anderen edelsteinbestickten Schuh des Herrschers saß dessen Sohn Hassan, ein aufgeweckter Junge im selben Alter wie Karlchen. Ein Fest mit Bauchtänzerinnen, Feuerschluckern und Schlangenbeschwörern war im Gange. Man tafelte an langen Tischen, und es duftete nach Jasmin, gebratenem Hammelfleisch und Pfefferminztee. Musik lag in der Luft.
    Der Junge mit dem Bürstenhaarschnitt verdankte seine Einladung in den Palast nach Eschnapur keinem geringeren als Alfred Nobel. Seine Stiftung hatte in diesem Jahr nicht nur Schriftsteller und Wissenschaftler auszeichnen wollen. Erstmals hatte sie mit einem unheimlich komplizierten Verfahren in allen Ländern der Erde nach dem »besten Schüler der Welt« gefahndet, und ausgerechnet Karlchen Kubatz hatte den Preis gewonnen. Der Name des Siegers war in Windeseile von Satellit zu Satellit um den ganzen Globus gewandert und auch dem Sultan zu Ohren gekommen. Augenblicklich hatte er befohlen, daß dieser Wunderknabe als Freund und Vorbild für seinen Sohn herbeizuschaffen sei, koste es, was es wolle. Für Hassan sei das Beste gerade gut genug. Telegramme. Blitztelefonate. Fliegende Unterhändler. Endlich hatte der Sultan seinen zum Luxushotel umgebauten Privatjumbo nach Bad Rittershude gejagt, denn viel Zeit war nicht zu verlieren. Karlchen konnte dem Sultan und seinem Sohn lediglich während der Sommerferien zur Verfügung stehen. Oberstudiendirektor Senftleben hatte nämlich nicht mit sich reden lassen. Auch ein Nobelpreisträger habe sich an die Schulordnung zu halten und müsse nach dem Urlaub wieder pünktlich in seinem Klassenzimmer antanzen. Keine Extrawurst für den »besten Schüler der Welt«, das wäre ja gelacht.
    So war es gekommen, daß Karlchen Kubatz vor dem Thron des mächtigen Sultans kauerte und daß jetzt Hassan einen Aprikosenkern zu ihm herüberspuckte.
    Leider wurde das Fest gestört.
    Atemlose Männer, deren dunkelhäutige Gesichter vom Sand der Wüste verkrustet waren, stürzten herein, warfen sich vor dem Sultan auf den Boden und redeten aufgeregt durcheinander. Dabei fuchtelten sie mit den Händen, und die Musik verstummte. Schließlich schickte der Sultan seine Gäste aus dem Palast und bat seine Ratgeber zu sich an den Thron. »Die Sarazenen haben unsere Geheimkuriere überfallen und meine Briefe an die befreundeten Stämme erbeutet«, sagte er mit bebender Stimme. »Sie betreffen, wie ihr wißt, die geplante Verschwörung gegen den Kalifen, und die Sarazenen drohen damit, ihm die Papiere auszuliefern. Aber der Kalif ist nur zu besiegen, solange er ahnungslos ist und unser Angriff auf sein Reich überraschend kommt. Die Führer der Sarazenen versprechen, zu schweigen und mir die verräterischen Briefe zurückzugeben, wenn ich ihnen den Osten des Landes abtrete, den sie schon immer für sich gefordert haben.«
    »Das ist Erpressung«, rief einer der Minister empört.
    »Bei Allah, ich muß mich auf das Geschäft einlassen«, bemerkte der Sultan kleinlaut. »Wenn der Kalif Wind davon bekommt, daß ich das Haupt der Verschwörung bin, bricht er mit seinen Kriegern wie ein Hornissenschwarm über unser

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