Das unheimliche Haus
herunter und begann erneut mit einer Wanderung durch die Tischreihen. »Wie kommt’s, daß du so traurig bist, da alles froh erscheint?« Er hob den Kopf, blickte zu Manuel hin und dann in die Klasse. »Ihr werdet das Zitat nicht kennen, aber ich hab’ euch eine Brücke gebaut, indem ich von einem großen deutschen Dichter sprach — na?«
»Da tippe ich doch mal gleich auf Goethe«, meldete sich Emil Langhans zu Wort.
»Ja, und zwar in seinen Gedichten Trost und Tränen«, erwiderte Dr. Purzer. »Zur geneigten Lektüre wärmstens empfohlen.« Er hatte mittlerweile seinen Tisch vor der großen Wandtafel erreicht und drehte sich um. »So, und jetzt endlich zur Sozialkunde. Schließlich steht sie auf dem Stundenplan. Wir wollen uns heute darüber unterhalten, wie in der Bundesrepublik ein Gesetz entsteht.«
Später blieben die Schüler während der großen Pause der Hitze wegen in der Eingangshalle oder im Treppenhaus. Im zweiten Stockwerk gab es eine neugierige Versammlung vor dem Schulthermometer. Es war noch nicht zehn Uhr, und es zeigte dreiundzwanzig Grad. Die Quecksilbersäule bekam Anfeuerungsrufe zu hören, wie Hundertmeterläufer kurz vor dem Ziel. Aber vorerst rührte sie sich nicht.
Sputnik fand den rothaarigen Honeyboy im unteren Korridor. Er hockte neben der Tür zum Physiksaal am Boden, in der einen Hand eine Cocabüchse und in der anderen eine aufgerissene Kekspackung.
»Hast du die Masern, oder was ist los?« fragte Sputnik, als er vor ihm stand. »Heute keine Korken im Ohr und ohne Rollschuhe? So bist du verdammt schwer zu erkennen, Mann.«
»Was willst du?«
»Wir hätten etwas mit dir zu besprechen.«
»Nichts dagegen.«
»Willst du damit sagen, daß du freiwillig mitkommst?« fragte Sputnik und hielt ungläubig den Kopf schief. »Du bringst mich heute ganz schön ins Staunen.«
»Es sieht so aus, als hättet ihr noch nicht geschaltet, daß sich seit gestern eine Kleinigkeit geändert hat«, meinte der Sommersprossige und zwinkerte durch seine dicken Brillengläser. Er trug heute ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Honolulu« unter einer großen Ananas mit ein paar grünen Blättern dran. »Die Maxen haben ihre Karten auf den Tisch gelegt. Seitdem gibt’s keine Geheimnisse mehr und folglich für mich nichts mehr zum Verraten. Ihr wollt also was ganz anderes von mir, und darauf bin ich neugierig.« Er nahm einen Schluck aus seiner Cocabüchse und grinste. »Wieder beim Fahrradschuppen und den Mülltonnen?«
»Aber nur, weil du die Ecke schon kennst.«
Auch die anderen Glorreichen waren nicht schlecht verwundert, als sie den rothaarigen Honeyboy an der Seite von Sputnik ganz friedlich über den Hof schlendern sahen. Sie hatten sich überall unter den übrigen Schülern verteilt und versammelten sich jetzt wieder unauffällig.
»Er ist richtig wild zu erfahren, was wir von ihm wollen«, berichtete Sputnik.
»Stimmt«, sagte der spindeldürre Junge. »Nun legt schon los, ich bin ganz Ohr.«
Paul Nachtigall kam einen Schritt näher. »Uns liegt daran, mit den Maxen Verbindung aufzunehmen«, sagte er ein wenig geschwollen. Dabei sprach er auch sehr langsam und kam sich bestimmt sehr diplomatisch vor. »Es haben sich da...«
»Wir sind doch für Freitag verabredet«, unterbrach ihn der Honeyboy. »Und ich bin pünktlich auf die Minute um fünf vor der Eisdiele. Ihr könnt die Uhr danach stellen.«
»Wir wollen aber, daß Ulli Buchholz persönlich kommt, und zwar zusammen mit seinen Maxen wie gestern an der Amper«, erklärte der Boß. »Nicht erst am Freitag, sondern schon morgen um dieselbe Zeit, wenn’s recht ist.«
»Das Ultimatum läuft aber bis Freitag, verdammter Mist.«
»Du nimmst mir das Wort aus dem Mund«, bemerkte Paul Nachtigall.
Der Honeyboy kam auf Touren. »Ob es euch nun paßt oder nicht, diesmal werden die Spielregeln von uns gemacht.«
»Bleib doch cool, Wuschelköpfchen«, sagte Emil Langhans versöhnlich. »Leider stehen die Maxen nicht im Telefonbuch. Wir können sie also nicht anrufen.«
»Und wenn ein Frosch fliegen könnte, würde er sich nicht mit Rumhüpfen den Hintern durchscheuern«, bemerkte der spindeldürre Junge mit dem Honoluluhemd.
»Wir wollen uns wieder beruhigen«, schlug Paul Nachtigall vor. »Die Sache ist wichtiger als irgendeine Streiterei.«
Die Glorreichen zeigten plötzlich ernste Gesichter, und der Boß kam noch einen Schritt näher heran. Er stand jetzt ganz dicht vor dem Honeyboy. »Weißt du, was ein Parlamentär ist?«
»Die Typen,
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