Das unheimliche Haus
sagen, damit sie mit der Adresse rausrückt?« fragte Paul Nachtigall.
»Mir wird schon was einfallen«, entgegnete der Lange. »Im entscheidenden Moment fällt mir immer was ein.«
Als sie kurz darauf im zweiten Stockwerk zum Korridor mit ihrem Klassenzimmer einbogen, entdeckten sie den Hausmeister.
Er stand mutterseelenallein im leeren Gang dicht vor der Wand, hatte die Hände auf dem Rücken und starrte auf das Schulthermometer.
»Wie stehen die Aktien, Herr Knöppke?« fragte Sputnik.
»Zwei Striche fehlen noch«, meinte der Hausmeister, ohne den Blick von der Quecksilbersäule zu nehmen. »Aber die Tendenz ist steigend.«
»Vielleicht sollten Sie die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten«, schlug Karlchen Kubatz vor. »Beispielsweise aus der Hocke.«
»Mir würde es heute ja auch in den Kram passen, wenn früher Schluß wäre. Mein Wellensittich hustet, und ich müßte dringend zum Arzt mit ihm«, sagte der Hausmeister und linste dabei auf seine Armbanduhr. »Der Oberstudiendirektor erwartet mich erst in zwölf Minuten zum Rapport. Die Lage ist nicht hoffnungslos!«
Der Lärm in den Klassenzimmern drang durch die Türen in den leeren Flur hinaus.
Für die nächste Stunde erwartete die 9 b Studienrat Wagemann, von dem die Klasse augenblicklich über den Wandertrieb verschiedener Tierarten unterrichtet wurde.
Als die Glorreichen jetzt vom Treppenhaus herüber seine Schritte hörten, verdrückten sie sich schleunigst.
Schon kurz danach brachte ihnen der Studienrat bei, daß Zugvögel, Robben, Schildkröten oder Aale sehr wichtige Gründe für ihre Wanderungen hätten.
Da klingelte es mitten in die Laichwanderungen der Lachse hinein, und zwar gleich dreimal hintereinander.
Studienrat Wagemann unterbrach sich mitten im Satz und sagte: »Wenn ich das Signal richtig deute, dann haben wir jetzt Hitzefrei.«
Ein paar Schüler lachten, einige trampelten mit den Füßen oder schlugen mit der flachen Hand auf ihre Tische.
»Viel Vergnügen«, wünschte Studienrat Wagemann und verschwand im Handumdrehen. Die ganze Schule wußte, daß er immer sein Angelgerät im Gepäckraum seines Wagens hatte und bei jeder Gelegenheit zur Amper hinausfuhr.
Schon nach ein paar Minuten war das Prinz-Ludwig-Gymnasium so leer wie sonst nur an Sonn- und Feiertagen.
Dafür stand man in Erikas Milchbar bis zur Straße hinaus und sich gegenseitig auf den Füßen herum.
Die Glorreichen Sieben hatten noch Plätze an der Theke erwischt. Erika Bandel stand ihnen gegenüber, leerte eine Milchflasche nach der anderen und kam allmählich ins Schwitzen. Sie war eine Frau so um fünfzig, immer gut aufgelegt und rundlich.
»Geduld, meine Herren!« rief sie in das Durcheinander von zugerufenen Bestellungen und lautem Palaver. »Ich hab’ nur zwei Hände, aber das soll ja Vorkommen.«
»Sechsmal mit Himbeer«, sagte Emil Langhans.
»Für mich Buttermilch«, rief Sputnik. »Ich bin augenblicklich schwer am Abmagern.«
»Keine schlechte Idee«, lachte Frau Bandel. Sie verteilte blitzschnell die Fruchtsäfte löffelweise auf die Gläser, schüttete Milch dazu und schob sie zum Durcheinandermixen unter den elektrischen Shaker. Das flutschte nur so.
»Zehnmal mit Orange und zwei mit Waldmeister«, brüllte ein Steppke mit auffallend großen Ohren.
»Immer der Reihe nach«, maulte ein kräftiger Bursche und schob den anderen zur Seite. »Wir kriegen fünfmal mit Zitrone, wenn’s recht ist.«
»Schüler auf einem Haufen sind schlimmer als eine Affenherde«, bemerkte Karlchen Kubatz. »Entschuldige, wenn wir Leine ziehen, Erika, aber hier versteht man ja sein eigenes Wort nicht mehr, und wir haben was zu besprechen.«
»Ich kann euch meine gute Stube anbieten«, meinte Frau Bändel, ohne ihre Mixgetränkeproduktion zu unterbrechen. »Ihr kennt euch ja aus. Aber bekleckert mir mit eurer Himbeermilch nicht mein Tischtuch, es ist ganz frisch gewaschen.«
Erika Bandel hatte neben der Theke eine kleine Wohnung, und da die Glorreichen ihre Stammgäste waren, hatten sie schon mehrfach die Ehre gehabt, dort eingeladen zu sein.
»Erika, du bist wie eine Mutter zu uns«, flötete Karlchen Kubatz. »Aber was wir beratschlagen müssen, ist wirklich kolossal wichtig.«
»Wann ist etwas nicht wichtig bei euch?« lachte Frau Bandel wieder, während sie eine neue Batterie volle Gläser auf die Reise schickte.
»Darf ich das Telefon benutzen?« fragte Emil Langhans.
»Wenn du nicht deinen Onkel in Kanada anrufen willst«, schränkte die
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