Das unheimliche Haus
Milchbarbesitzerin ein. Emil hatte nämlich tatsächlich einen Onkel in Kanada.
»Dieses >Hitzefrei< ist ein Geschenk des Himmels«, bemerkte Paul Nachtigall, nachdem sie sich mit ihren immer wieder überschwappenden Gläsern in die Bandelsche Wohnung gedrängelt und die Tür hinter sich zugemacht hatten. »Jetzt bleibt uns fast noch ein ganzer Tag.«
»Wir haben aber auch eine ganze Menge zu erledigen«, unterbrach ihn Sputnik. »Packen wir’s an.«
Emil Langhans hatte sich gleich das Telefonbuch geangelt und blätterte jetzt schon eine ganze Weile in ihm herum.
Da schneite Fritz Treutlein ins Zimmer. »Ich komm’ eben von meinem Wüstenscheich aus dem Hotel zum Kurfürsten, und da sehe ich eure halbe Schule hier herumgammeln. Natürlich schalte ich gleich und denke...«
»... daß wir wohl auch in der Nähe sein müssen«, vollendete Karlchen Kubatz seinen Satz. »Du bist ein aufgewecktes Kerlchen.«
Der Friseurlehrling hatte durchgeschwitzte Haare und würdigte Karlchen keiner Antwort. »Schon irgendwas Neues von den Maxen?« fragte er.
»Schnauze«, zischte Emil Langhans in diesem Augenblick. Er hatte eine Telefonnummer gewählt und nahm jetzt den Hörer an sein rechtes Ohr.
»Die Maximilianschule?« flüsterte Sputnik kaum hörbar.
Der Lange nickte kurz und steckte jetzt den Zeigefinger ins linke Ohr.
Karlchen Kubatz hatte wieder einmal die Hände unter seine Oberschenkel geschoben und wippte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her. »Lieber Herr Gesangverein, mach um Himmels willen jetzt keinen falschen Fehler.«
Emil Langhans winkte unwillig ab, machte seine Augen zu und konzentrierte sich wie vor einem Salto vom Zehnmeterturm.
Auch die anderen hielten den Atem an, und sie konnten alle das Tuten mithören, das aus dem Telefonhörer kam. Sie beugten
sich vor und machten lange Hälse. Der Boß, Karlchen Kubatz und Sputnik schlichen auf Zehenspitzen immer dichter an den Langen heran, bis sich beinahe ihre Köpfe berührten.
»Maximilianschule, Sekretariat Warnicke«, meldete sich jetzt
eine weibliche Stimme.
»Schwimmclub Blau-Weiß Bad Rittershude«, röhrte Emil Langhans möglichst sanft mit seiner brüchigen Gießkannenstimme. »Hoffentlich störe ich Sie nicht, Fräulein Warnicke.«
» Frau Warnicke«, kam es freundlich aus dem Telefonhörer. »Aber das tut nichts zur Sache. Was kann ich für Sie tun?«
»Es geht um das Sommerfest, Frau Warnicke«, erklärte Emil. »Genauer gesagt geht es um die Schülermannschaften beim Schwimmwettbewerb. Und da sind wir in einer dummen Verlegenheit. Wir hatten in diesen Tagen einen kleinen Umzug innerhalb unserer Geschäftsstelle. Dabei sind leider unsere Akten durcheinandergeraten und ausgerechnet die Meldungen der 4 x 100-m-Staffel wurden davon betroffen. Um ganz ehrlich zu sein, wir können sie im Augenblick gar nicht finden. Andererseits sitzt uns die Zeit im Nacken, weil das Programm gedruckt werden muß.« Emil holte kurz Luft. »Und jetzt klingle ich bei allen Schulen herum, damit wir die Namen wieder zusammenkriegen. Aber vielleicht sollte ich besser mit Herrn Kugler, Ihrem Turnlehrer, sprechen?«
»Wir haben Hitzefrei, und Herr Kugler ist bestimmt schon über alle Berge«, erwiderte die Stimme am anderen Ende der Leitung. »Aber wenn Sie sich einen Moment gedulden, kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein. Alles Schriftliche geht ja über meinen Schreibtisch. Einen Augenblick bitte.«
Die Glorreichen starrten zu Emil Langhans. Einer nach dem anderen machte eine Faust und stellte den Daumen senkrecht in die Luft. Aber das bemerkte der Lange überhaupt nicht, weil er seine Augen immer noch geschlossen hatte.
»Da bin ich wieder«, ließ sich die Sekretärin der Maximilianschule erneut vernehmen. »Haben Sie was zum Schreiben?«
»Ja, ich bin bereit.«
»Also, da habe ich auf der ersten Seite den Sprungwettbewerb, aber der interessiert Sie ja nicht — oder?«
»Nein, nur die 4 x 100-m-Staffel ist uns verlorengegangen.«
»Jetzt hab’ ich sie«, flötete Frau Warnicke durchs Telefon. »Das sind Andreas Baum, Ulrich Buchholz, Peter Steinberger, Michael Nowak und als Ersatzleute Karl-Heinz Tennigkeit und Herbert Spörrle. Aber alles ohne Gewähr.« Sie kicherte. »Nein, nein, das stimmt schon, sollte nur ein kleiner Spaß sein.«
»Das Alter der Schüler steht nicht zufällig dabei?« fragte Emil.
»Jetzt artet es aber in Arbeit aus«, kicherte die Dame Warnicke schon wieder. »Da muß ich an unsere Schülerkartei, aber die steht ja gleich
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