Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Schilf – den Hexenbesen im Rücken, dass die Schilfkolben durch die Luft flogen.
Langsam aber schien Primus die Verfolgungsjagd Spaß zu machen. Er überschlug sich in der Luft und flog über den Kopf der Hexe hinweg. Diese gab einen quietschenden Aufschrei von sich, wendete ihren Besen und holte ihn schnell wieder ein. Primus flatterte kreuz und quer über den Schneckenbach und dann auf die Holzbrücke zu. Immer näher kam die Hexe. Als er die Schneckenbachbrücke direkt vor Augen hatte, machte er einen gekonnten Abschwung und tauchte unter der Brücke hindurch. Schimpfend krachte die Hexe durch das Geländer.
Aber ganz so leicht war sie anscheinend nicht abzuschütteln. Primus wusste, dass ihm früher oder später die Luft ausgehen würde. Die einzige Rettung, die ihm jetzt noch einfiel, war der Finsterwald mit all seinen Hindernissen. Sofort setzte er zu einem Bogen an. Er flog über den Distelpfad und brauste wie der Wind auf die Bäume zu. Die Hexe schnellte mit ihrer Fliegenklatsche bewaffnet hinterher. Primus musste schon sehr bald feststellen, dass er offensichtlich nicht der Einzige war, der die Route durch den Finsterwald blind zurücklegen konnte. Immer schneller ging die Verfolgungsjagd. Über Wurzeln und durch Gestrüpp, links und rechts an den knorrigen Bäumen vorbei, dann unter dem Wegweiser hindurch und Stück für Stück immer weiter nach Norden. Das Laub auf dem Boden wirbelte auf, wenn der Besen darüberschoss, und da sie zahllose Staubpilze rammten, hinterließen die beiden eine stinkende Spur durch den gesamten Finsterwald.
Mit einem Satz kam Primus aus dem Wald geschossen. Im klaren Sternenlicht tauchte Klettenheim aus der Dunkelheit auf, während er dicht über dem Ackerboden auf das Dorf zuflog. Äste zerbarsten, als die Hexe aus dem Wald herausbrach. Sie spuckte Holzreste aus und zupfte sich im Flug die Blätter von der Brille. Primus wusste inzwischen überhaupt nicht mehr, wie er diese Nervensäge wieder loswerden sollte. Verzweifelt flog er über die Schindeldächer und suchte nach einer Lösung. Und schließlich fand er sie auch. Denn als er vor sich den Kirchturm erblickte, kam ihm der rettende Gedanke. Das könnte funktionieren, schoss es ihm durch den Kopf. Vielleicht hatte er Glück.
Doch bevor er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, musste er erst einmal für ein klein wenig Aufmerksamkeit sorgen. Stürmisch tauchte er in die Gassen des Dorfes ein und stieß dabei lauthals seine in Klettenheim nur allzu bekannten Rufe aus. Mit der Hexe auf den Fersen verursachte er einen noch weitaus größeren Lärm als sonst, da sich diese durch das Gebrüll der Fledermaus offensichtlich verspottet fühlte. Trötend maulte sie ihm, mit ihrer Blechhupe am Lenker, hinterher.
In scharfen Kurven ging es nun um die Häuserecken, über mehrere Heuwagen hinweg und zwischen Unmengen von Wäscheleinen mit Bettlaken, Socken und Unterhosen hindurch. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Lichter in den Häusern angingen und die Leute, wie bei jedem seiner Besuche, in Pyjamas und Nachthemden auf die Straße stürzten. Offenen Mundes verfolgten die Dorfbewohner das wilde Treiben in den Gassen.
»Seht nur«, rief einer, »jetzt sind es sogar schon zwei ! Der Schatten hat Verstärkung geholt.«
Nun musste alles sehr schnell gehen. Primus steuerte auf den Kirchturm zu, während einige der Klettenheimer ebenfalls diese Richtung einschlugen. Quer über den Marktplatz ging es an der Laterne vorbei, in Spiralen den Kirchturm hinauf und unterhalb der Turmuhr ein paarmal im Kreis. Er hoffte nur, dass die Dorfbewohner die Schneeschaufel in der Zwischenzeit noch nicht abgenommen hatten. Aber da entdeckte er schon das Seil und den gebogenen Schaufelstiel. Die Lage wurde jetzt langsam kritisch, da Primus immer schwächer wurde und die Hexe stetig näher kam. Nur noch ein bisschen höher und einmal um den Turm herum – da war sie auch schon neben ihm.
Mit letzter Kraft blickte Primus sie verzweifelt an, während diese triumphierend zum abschließenden Schlag ausholte. Doch dann passierte es: Die Klettenheimer setzten ihre Geheimwaffe ein. Einer der Dorfbewohner löste das Seil, das die Schneeschaufel gespannt hielt. Diese kam daraufhin wie ein Katapult aus der Dunkelheit hervorgeschossen. Die Schaufel zischte über Primus hinweg, der gerade noch den Kopf einziehen konnte. Der Hexe wiederum wurde schwarz vor Augen.
Ein ohrenbetäubendes Kreischen war zu hören, als die Schaufel mit voller Wucht zuschlug. In
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