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Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Titel: Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Seitz
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Deckengewölbe ansetzte, ragten steinerne Gesichter mit Hakennasen oder buschigen Bärten hervor. Plim ahnte sofort, um wen es sich bei den Bildnissen handelte. Es waren die großen Lehrmeister, welche der Akademie einst zu Ruhm und Ehre verholfen hatten. Finster schauten sie von oben herunter, so, als musterten sie jeden Besucher vom Kopf bis zu den Füßen. Beim Anblick ihrer versteinerten Mienen konnte Plim nur allzu gut nachvollziehen, wie sich ihre Schüler wohl gefühlt haben mochten, als sie ihnen zu Lebzeiten gegenübergestanden hatten.
    Primus schnupperte. Die Luft war erfüllt mit dem Geruch von altem Papier, Pergament und Druckerschwärze. Doch das war nicht weiter ungewöhnlich – schließlich befand sich hier in der Bibliothek auch der Verlag des Zauberzirkels. Das konnte man nicht nur riechen, sondern auch hören. An beiden Seiten der Halle führten zwei gebogene Treppen zum Obergeschoss, von wo aus leise das Rattern der Druckmaschinen ertönte. Unter den beiden Treppen gab es jeweils einen Durchgang, der die Vorhalle mit den angrenzenden Akademiegebäuden verband. Viele Studenten mit wehenden Umhängen huschten dort umher, von denen die Alchemisten am allerleichtesten zu erkennen waren. Entweder hatten sie von Ruß geschwärzte Gesichter oder Brandlöcher in ihren Umhängen. Doch außer den Studenten waren hier auch zahlreiche Kobolde anzutreffen, von denen einige offensichtlich für den Verlag des Zauberzirkels arbeiteten. Flink rutschten sie die breiten Treppengeländer herunter, jeder von ihnen mit einem Stapel von Magazinen auf dem Schoß, und brachten die Hefte durch die Eingangstür nach draußen zu den Händlern. Andere wiederum schoben kleine Wägelchen vor sich her, auf denen Berge von Büchern lagen. Diese steuerten sie quer durch die Halle und geradewegs auf einen Torbogen zu. Schon von weitem konnte man sehen, was sich dahinter befand: die Bibliothek – die größte, die das Land je gesehen hatte.
    Für Primus barg der Hauptraum der Bibliothek inzwischen längst nichts Neues mehr. In den vergangenen zweihundert Jahren war er schon unzählige Male hier gewesen. Plim dagegen kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Nicht einmal im Traum hätte sie sich so eine gigantische Halle vorgestellt. Mit offenem Mund stand sie da und schaute sich um. Der Raum musste gut und gerne eine Höhe von zwanzig Stockwerken haben! Man fühlte sich wie in einer Schlucht aus Büchern, die mindestens dreihundert Fuß lang war. Über die gesamte Höhe des Raums zogen sich an der linken und rechten Hallenwand die Bücherregale empor. Die oberen Reihen konnte man vom Boden aus fast nicht mehr erkennen. Um in diese schwindelerregenden Höhen zu gelangen, gab es vor den Regalen kleine Balkone, die mit einem raffinierten System aus Rollen und Seilzügen versehen waren. Es funktionierte wie ein Flaschenzug und man konnte damit ohne Anstrengung vor den Buchreihen rauf- und runterfahren. Ein leichter Zug an der entsprechenden Schnur reichte aus und schon sauste der Balkon in die Höhe. Sogar eine Fahrt zur Seite war damit möglich. Plim hatte auch so etwas noch nie gesehen. Lautlos glitten die Lesebalkone mit ihren Insassen an den Regalen vorbei und schnellten bis nach oben zu den am höchsten gelegenen Büchern. Darüber thronte ein gewölbtes Glasdach, das im Sonnenlicht funkelte. Tauben flogen dort durch ein kleines Dachfenster und flatterten im Sonnenschein zwischen den Eisenstreben, wo sie ihre Nester gebaut hatten.
    Fasziniert schaute Plim den fahrenden Balkonen nach. Einer von ihnen war bis oben hin mit Büchern beladen und sauste, trotz seines Gewichts, in Windeseile kreuz und quer an den Regalen vorbei. Zwischen den Büchern eingequetscht stand ein schmaler Mann mit schütterem blondem Haar, der jedes Buch an seinen ordnungsgemäßen Platz zurückbrachte. Wahrscheinlich war er der Bibliothekar. Denn abgesehen davon, dass er genau wie einer aussah, hätte sich wohl kaum ein anderer in diesem Ozean von Büchern zurechtfinden können.
    Allerdings wurden in der Bibliothek nicht nur Bücher aufbewahrt, sondern es wurden auch welche angefertigt. Wie in einem Klassenzimmer reihten sich die Schreibpulte der Buchmalergesellen in der Mitte des Raums aneinander. Mit Federn und Pinseln malten sie kunstvolle Illustrationen, beschrieben Buchseiten oder Pergamente, während ihre Meister zwischen den Reihen auf und ab schritten, um die Arbeiten zu kontrollieren.
    »Kannst du mir vielleicht verraten, wie wir hier etwas finden

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