Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
es ein Mann war. Er hatte einen breiten Ring am Finger – ich glaube, es war ein Siegelring.«
Plim zog ein verblüfftes Gesicht. »Und was hat der Mann dann gemacht?«
»Keine Ahnung«, antwortete Primus. »Ich habe gleich wieder nach den Geheimtüren Ausschau gehalten. Außerdem musste ich doch anschließend mit dir über den Feldern Fangen spielen. Aber lass uns jetzt lieber weitergehen. Das ist ansonsten schon die dritte Person, über die ich mir den Kopf zerbreche.«
Plim stand da und schaute ihm nach. »Wieso die dritte Person? Über wen denkst du denn noch so alles nach?«
Primus wandte sich im Gehen um: »Zuerst einmal über denjenigen, der die Sichel gebaut hat«, rief er. »Leute, die ihr Handwerk derart verstehen, findet man nicht oft in dieser Gegend. Und dann würde mich interessieren, wer deinen Plan gezeichnet hat. Darauf steht nämlich geschrieben, dass die Sichel vor 12000 Jahren angefertigt wurde. Der Plan jedoch sieht mir nicht danach aus, als wäre er älter als zweihundert oder dreihundert Jahre. Demnach hat sich vor einiger Zeit noch jemand anderes damit beschäftigt. Und ich wüsste allzu gerne, wer das gewesen ist.«
Nach einiger Zeit tauchten windschiefe Häuser auf, die eng beieinanderstanden. Es waren die Vororte von Hohenweis mit ihren verwinkelten Gassen, die allesamt im Schatten der gewaltigen Stadtmauer lagen. Primus und Plim gingen über die lehmigen Gassen und zwängten sich schließlich zwischen zwei Hauswänden hindurch, wo sie auf eine breite gepflasterte Straße stießen. Gaslaternen säumten das Kopfsteinpflaster, das schnurgerade zum großen Stadttor führte. Ein unglaubliches Stimmengewirr lag in der Luft, in das sich das Gepolter von Rädern, das Knallen von Peitschen oder das Klappern von Hufen mischte. Bauern trieben ihr Vieh über das Pflaster oder drängten sich mit Strohballen beladen durch Scharen von Kobolden, Reitern und Marktfrauen. Zahlreiche Kutschen und Karren standen hier Schlange, um an den Toren von der Stadtwache kontrolliert zu werden. Gehen konnte man in diesem Gewühl überhaupt nicht mehr. Im Schneckentempo wurden Plim und Primus vorangeschoben, während über den Zinnen die Mittagssonne herunterbrannte.
»Das nächste Mal fliegen wir«, sagte Primus genervt zu Plim, die von der Menge ganz nah an ihn herangedrückt wurde.
Stück für Stück rückte das Stadttor näher. Sie wurden an Obstkarren und Pferdefuhrwerken vorbeigezwängt, bis sie endlich von den Wachen hineingelassen wurden. Dann waren sie da.
Hohenweis war eine schillernde Stadt. Mit ihren altehrwürdigen Häusern, den mächtigen Türmen und den vielen Brückenbögen, die sich hoch oben zwischen den Gebäuden über die Straßen spannten, versetzte die Hauptstadt jeden Besucher immer wieder aufs Neue in Erstaunen. Hinter Torbögen voll steinerner Gesichter verbargen sich Treppen oder Arkadenhöfe, zu denen finstere Wasserspeier aus luftiger Höhe herabsahen. Die Steinmetze dieser Figuren hatten zweifelsohne eine wahre Meisterleistung vollbracht, da keiner der gemeißelten Drachen, Teufel oder Trolle einem anderen glich. Aber neben dieser Bildhauerkunst war die Hauptstadt des Unkrautlands besonders für ihre Universitäten und Akademien berühmt. Aus allen Teilen des Landes reisten die Studenten an, um hier ihr Wissen zu vergrößern. Jegliche Arten der Geheimwissenschaften wurden in den Gewölben der Hochschulen gelehrt. Dazu zählten nicht nur Astrologie oder Parapsychologie, nein – auch die Alchemisten wurden hier unterrichtet. Tief in den Kellern unter der Akademie heizten sie blubbernde Glaskolben an, ließen Mixturen verdampfen oder stellten feine Pülverchen her. Immer wieder zitterte der Boden, wenn eines ihrer Laboratorien in die Luft flog.
Bei so vielen Akademien war es daher nicht verwunderlich, dass sich um den Marktplatz eine Menge kleiner Läden angesammelt hatte, in denen man alles Mögliche finden konnte, was man als Wissenschaftler brauchte. Es gab Glasspiralen zum Destillieren von Tinkturen, Federkiele, Pergamentrollen, Ferngläser, Mikroskope und vieles, vieles mehr. Plim schielte neugierig durch ein Schaufenster, in dem sie einen gasbetriebenen Kupferkessel mit eingebauter Temperaturanzeige entdeckt hatte.
Sie strahlte übers ganze Gesicht: »Da muss ich nachher unbedingt hinein!«, rief sie. »Erinnerst du mich bitte daran? So einen Kessel muss ich haben. Vorher will ich aber noch ein paar Kräuter kaufen. Der Markt liegt sowieso in unserer Richtung.«
Die
Weitere Kostenlose Bücher