Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
weiß auch genau, woher der kommt.«
Primus hatte ein Funkeln in seinen Augen. Je weiter sie kamen, desto lauter wurde das Rauschen. Kurz darauf huschte der Schein ihrer Lichter über die Wände und traf auf Hunderte schwarzer Zapfen, die über ihnen von der Decke hingen.
Plim zupfte Primus am Frack.
»Sieh nur«, sagte sie, »deine Kollegen sind auch alle da. Hätte ich gewusst, dass es die hier unten wie auf dem Servierteller gibt, dann hätte ich mir die Verfolgungsjagd mit dir neulich sparen können. Hier kann man sich ja bequem eine aussuchen.«
Wovon zum Kuckuck spricht sie? – dachte Primus. Dann aber sah er es selbst.
Fledermäuse! So weit das Auge reichte. In Scharen baumelten sie über ihren Köpfen, hatten die Flügel um die Körper gewickelt und schliefen. Primus lief ein Schauder über den Rücken. Auch das hatte er schon einmal gesehen, kam es ihm in den Sinn.
Plim aber ließ ihm keine Gelegenheit, um weiter darüber nachzudenken.
»Komm schon«, sagte sie, »wir haben es eilig. Falls du von denen jemanden kennst, kannst du ihm ja auch auf dem Rückweg Hallo sagen.« Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand.
Aber Plim hatte Recht. Sie durften keine Zeit mehr verlieren. Primus löste seinen Blick, kniff kurz die Augen zusammen und eilte weiter.
Nur wenige Minuten später erreichten sie eine Stelle, an der der Gang zu seiner doppelten Breite anwuchs. Die Decke öffnete sich und mit Geprassel stürzte ein schmaler Wasserfall vor ihnen zu Boden. Daher kam also das Rauschen. Primus wusste genau, wo sie sich gerade befanden und woher der Wasserfall kam: Das war das Wasser des Schneckenbachs!
Er und Plim mussten am untersten Ende des Erdspalts stehen, weit unterhalb des Felsvorsprungs. War das etwa die Stelle, von der Rabenstein gesprochen hatte? War Primus hier einst hinuntergefallen, nachdem ihn sein alter Freund in den Abgrund gestoßen hatte? Primus blickte sich um. Der Boden war felsig und vom Wasser über die Jahrhunderte hinweg vollkommen ausgewaschen. Wäre das nicht gewesen, dann hätte Primus gewiss einen Abdruck wahrgenommen: den keilförmigen Abdruck eines milchig schimmernden Steins, auf dem er bei seinem Sturz vor langer Zeit aufgeschlagen war!
Die beiden traten zur Seite. Das Wasser breitete sich fortan über den gesamten Boden aus, bevor es im weiteren Verlauf gurgelnd den Tunnel hinabfloss. Nasse Füße würden er und Plim trotz allem nicht bekommen, da die Kobolde vorsorglich einen Holzsteg gebaut hatten. Dieser verlief nur wenige Handbreit über der Wasseroberfläche und war notdürftig mit einer Leine gesichert. Nun hieß es wieder Kopf einziehen .
Sie zwängten sich am Wasserfall vorbei und betraten den Steg. Das Holz war ebenso morsch, wie es alt war. Es knackte und polterte, als würde es jeden Moment auseinanderbrechen. Doch was die Kobolde bauten, das war stabil. Und so kam es, dass die beiden schließlich das Ende des Tunnels erreichten.
Plim stockte der Atem. Sie schritt aus dem niedrigen Stollen, wobei sie sich langsam aufrichtete. Da fehlten ihr nun wirklich die Worte! Dieser Anblick war geradezu überwältigend. Nie und nimmer hätte sie gedacht, dass sich so etwas während all der Jahre unter dem Wald hatte verbergen können. Wie ein Trichter wichen die Felsen zur Seite und öffneten sich zu einer gigantischen Grotte, die vor ihren Augen mindestens neunzig Fuß weit in die Höhe ragte. Selbst Primus blieb wie angewurzelt stehen und ließ verblüfft seinen Blick schweifen. Sie hatten es also endlich geschafft. Vor ihnen lag der unterirdische See.
Allerdings – leuchtend war er nicht. Vielmehr glitzernd. Klar wie Kristall glitt das Wasser dahin und funkelte im Schein ihrer Lichter wie tausend Sterne. Wie würde diese Grotte wohl schimmern, wenn die Splitter bei Neumond erglühten? – dachten die beiden. Dann erst blickten sie langsam zur Decke. Was sollte das denn bedeuten? Plim hielt ihr Licht in die Höhe. Da hing doch etwas in der Luft?! Waren das Tropfsteine? Nein, ging es ihr durch den Kopf, dafür war das Zeug viel zu krumm.
Primus aber lächelte. »Sieh mal einer an«, flüsterte er. »Das also sind die geheimnisvollen Bäume, die von oben nach unten wachsen. Nicht zu fassen. Es sind Wurzeln! Die Rübe hat von Baumwurzeln gesprochen. Von den Wurzeln der uralten Bäume des Finsterwalds. Ach, dass ich da nicht gleich draufgekommen bin.« Er schlug sich mit der Faust in die flache Hand. »Und ich habe geglaubt, der See läge irgendwo unter den Nebelfeldern.
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