Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
sich schnell wieder gefasst. Er packte sie bei den Schultern, zog sie zu Boden und hielt ihr den Mund zu. Winselnd strampelte sie mit den Beinen.
Es fiel ihm nicht gerade leicht, die völlig verschreckte Plim im Zaum zu halten, ohne dabei selbst ein blaues Auge zu bekommen. Das werte Fräulein biss, kratzte und schlug mit den Fäusten, so fest sie nur konnte. Es war genau wie damals, als er sie oben im Dachzimmer in die Kiste gesteckt hatte.
Nach einer Weile beruhigte sie sich.
»Alles klar?«, flüsterte Primus.
Plim warf ihm einen kurzen Blick zu und nickte. Daraufhin ließ er sie los.
»Natürlich, alles bestens. Außer dass ich beinahe einen Herzschlag bekommen hätte, geht es mir prächtig.« Sie nahm einen tiefen Atemzug. »Denkst du, uns hat jemand gehört?«
Primus horchte. »Weiß nicht.«
Er drehte sich auf den Bauch und nahm den Zylinder vom Kopf. Dann spähte er langsam aus dem Gras zur Hütte hinüber. Nichts zu sehen. Weder hinter den Fenstern noch oben im Dach. Alles war ruhig.
»Ich glaube, die Luft ist rein«, flüsterte er. »Wir können weiter.«
Gesagt, getan. Sogleich machten sich die beiden wieder auf.
Sie liefen das letzte Stück über die Wiese und näherten sich schleichend der Hauswand. Dort hockten sie sich unter eines der Fenster. Primus schaute zu Plim und hielt den Finger an seine Lippen. Diese verdrehte genervt die Augen. Dann standen beide auf und spitzelten vorsichtig, mit den Nasen am Fensterbrett, in die Hütte hinein.
Plim konnte in der Dunkelheit kaum etwas erkennen. Sie rieb sich die Augen und versuchte die schemenhaften Konturen zu deuten – aber vergeblich. Dort drinnen war es dunkler als in einem Termitenhügel.
Anders erging es Primus. In seiner menschlichen Gestalt vermochte er bekanntlich des Nachts genauso gut zu sehen wie als Fledermaus. Und daher dauerte es auch nicht sonderlich lange, bis er ein klares Bild davon bekam, was sich im Inneren der Hütte verbarg: Vor ihnen lag ein kleines und nahezu völlig verwüstetes Zimmer.
Es sah beinahe so aus wie nach einem Erdbeben. Die alten Möbel oder besser gesagt das, was von ihnen noch übrig war, lagen umgeworfen und wahllos verstreut auf dem Fußboden. Der Staub hatte sie nahezu völlig eingedeckt. In den Mauerecken erkannte er zerbrochene Bilderrahmen, unzählige Scherben von Tonkrügen und reihenweise verrostete Pfannen und Töpfe. Alles in allem glich der Raum einer gewaltigen Rumpelkammer.
Primus runzelte die Stirn. Ihm fiel auf, dass dies offenbar nicht der einzige Raum in der Hütte war. Links von ihm öffnete sich ein Durchgang zu einem weiteren Zimmer. Und an der gegenüberliegenden Wand führte eine Holzleiter nach oben zum Dach.
»Kannst du was sehen?«, fragte Plim.
Er ließ die Mundwinkel hängen. »Also, wenn der Kerl tatsächlich hier wohnt«, sagte er, »dann hat er auf jeden Fall schon lange nicht mehr aufgeräumt.« Er steckte den Kopf durch das Fenster und schaute sich um. »Und zu Hause ist er auch nicht, wie mir scheint.« Er griff in seine Tasche und zog die Zaubernuss hervor. »Da«, sagte er, »schau dir das mal an.« Primus hielt das Licht durch das Fenster und leuchtete ins Zimmer.
»Puh«, brummte Plim, »was für ein Durcheinander. Da soll mir noch einer sagen, bei mir zu Hause wäre es unordentlich. Im Gegensatz dazu ist meine Hexenküche doch geradezu vorbildlich.«
Primus lächelte. »Komm«, sagte er, »gehen wir rein und schauen uns um.«
Mit diesen Worten verließen sie das Fenster und liefen zum Eingang.
Halb verfallen zeigte das Türblatt nach innen. Seine Angeln waren verrostet, das Schloss verbogen und der eiserne Türgriff hing senkrecht zu Boden. Ein letztes Mal noch wandten die beiden sich um. Sie hoben ihre Köpfe und sahen zurück zu den Bäumen. Nichts zu sehen. Noch immer war alles still und niemand schien in der Nähe zu sein. Also fassten sie sich ein Herz und traten ein.
Die Hütte empfing sie mit Dunkelheit und einer Atmosphäre, die Beklemmung auslöste. An den hinteren Fenstern wuchs der Efeu so dicht, dass das Mondlicht nur mit wenigen Strahlen ins Innere drang. Verwundert schauten die beiden sich um. Auf einmal wirkte alles viel kleiner und enger, als es ihnen bei ihrem Blick durch das Fenster vorgekommen war. Staubwolken wirbelten unter ihren Füßen auf und mit lautem Knarren bog sich der Holzboden.
Plim schnupperte. Neben dem Geruch von Holz und alten Mauern lag noch etwas anderes in der Luft – ein seltsam beißender Gestank, den sie irgendwo
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