Das Unkrautland, Band 2: Das Geheimnis der Schwarzen Hütte (German Edition)
wie rauer Granit und ebenso kalt. Nun wurde ihm klar, warum es das Bäumchen schon so lange gab.
»Es ist versteinert«, sagte er lächelnd. »Dann wundert mich natürlich nichts mehr.«
»In diesem Fall kann es Tausende von Jahren alt sein«, fügte Bucklewhee hinzu, »Tausende und Abertausende, um es genau zu nehmen.«
»Eben«, sagte Primus, »selbst zu Zeiten der Nebelfee muss dieses Bäumchen schon hier gestanden haben. Ein Relikt aus ganz alten Tagen.«
Respektvoll trat Plim näher. Sie streckte ihre Hand aus und berührte die Saiten. Die silbrigen Fäden waren dünner als Seide. Mit spitzen Fingern strich sie darüber und ließ sie sachte erklingen. Eine Welle aus Tönen schwang durch die Luft, dass den dreien der Atem stockte. Hoch schossen die Klänge empor, hüllten sie ein und verflogen dann langsam in der Weite des Tals. Die drei waren sprachlos. Was für ein Erlebnis musste es erst sein, wenn der Südwind die Harfe zum Klingen brächte?!
Eine Weile noch warteten sie und lauschten, ob sich nicht doch etwas regte. Aber zu ihrer Enttäuschung blieb alles still. Nicht das leiseste Lüftchen kam auf. Schließlich verließen sie den Ort und schritten langsam den Hügel hinunter. Noch einmal wandte Plim sich um und blickte zur Harfe zurück. Erhaben stand diese auf der Kuppe und funkelte im Licht des Nachmittags … ein Bild, das sie wohl so schnell nicht vergessen würde. Dann wanderten sie weiter den Pfad entlang.
Die Abenddämmerung war hereingebrochen, als sie den Hügel hinter sich ließen. Der Himmel erglühte in rötlichen Farben und die verstreuten Wolken sahen aus wie zahllose Inseln mitten im Meer. Dicht über dem Horizont, in gleißendem Rot, stand die untergehende Sonne. Primus konnte seinen Blick nur schwer von ihr abwenden. Als riesiger Feuerball hing sie über dem Land, wie er sie zeit seines Lebens nur selten gesehen hatte. Plim war nicht weniger gebannt. Den Kopf zum Himmel gerichtet ging sie neben ihm her und schaute ins Licht. Bald schon, das wussten sie, würde es dunkel werden.
Plötzlich aber merkten sie auf. Denn von einem Moment zum anderen veränderte sich der Klang ihrer Schritte und ein dumpfes Poltern ertönte. Überrascht blickten die beiden zu Boden. Unter ihren Füßen befanden sich verwitterte Bohlen. Sofort blieben sie stehen. Die Bretter gehörten zu einer Holzbrücke, knapp zwei Schrittlängen breit und ohne Geländer. Von weitem hatten Primus und Plim sie überhaupt nicht bemerkt. Leise zwängte sich unter ihr ein Bergbach hindurch, der weiter nach Norden floss.
»Von wegen Schneckenbach«, spottete Primus, »was für ein Unsinn. Sogar der kleine Junge ist gleich darauf gekommen, dass da etwas nicht stimmen kann.«
»Was nuschelst du da? Was denn für ein Junge? Das da unten ist doch nicht der Schneckenbach, oder etwa doch?« Plim schob das Kinn vor und blickte verwundert auf das plätschernde Wasser.
»Völlig unmöglich«, mischte sich Bucklewhee ein, »geografisch vollkommen ausgeschlossen. Der liegt viel weiter östlich.«
Auch Primus schüttelte den Kopf. »Natürlich ist er es nicht«, sagte er, »genauso wenig, wie die Schwarze Hütte in den Westlichen Sümpfen steht. Rabenstein hat ihm für seine Version der Geschichte nur einen anderen Namen gegeben.« Er dachte an das Märchen zurück, das die Großmutter den drei Kleinen erzählt hatte. »Ein gewundener Pfad«, flüsterte er, »und kurz darauf eine Holzbrücke. Jetzt bin ich doch mal gespannt, was als Nächstes kommt.«
»Als Nächstes?«, fragte Plim.
»Ganz genau! Denn wenn ich mich richtig erinnere, dann müssten das nun die pechschwarzen Kiesel sein. Los«, rief er, »sehen wir nach!«
Schnell rannten sie über die morschen Bretter und betrachteten den Pfad. Und tatsächlich! Genau wie Primus vermutet hatte, bedeckten von nun an kleine schwarze Kieselsteine den Weg.
Primus verschränkte die Arme. Er hob das Kinn und blickte Plim herausfordernd an. »Was kommt jetzt?«, fragte er neugierig.
»Wie, was kommt jetzt?«
»Na los«, drängte er. »Dir hat man die Geschichte doch schließlich auch erzählt. Kannst du dich noch daran erinnern, was passiert ist, nachdem die zwei Mädchen über die Brücke gegangen waren?«
Plim pustete gequält. »Ach du meine Güte, das ist schon so lange her.«
Sofort frischte Primus ihre Erinnerungen auf. »Dann schau mal da vorne«, sagte er. »Vielleicht kommt dir das ja irgendwie bekannt vor.« Er zeigte auf eine Allee, die in kurzer Entfernung vor ihnen
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