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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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großen Post-it-Zettel mit den notierten Einkäufen. Schon am Eingang suchte er länger in der Geldbörse nach einer passenden Münze für den Wagen, wobei er, wie er aus den Augenwinkeln bemerkte, von einer der Kaserer-Schwestern beobachtet wurde. Als er endlich das Fünfzig-Cent-Stück gefunden und eingesteckt hatte, schob er den Wagen langsam den Mittelgang hinunter, den Kopf über den Zettel gebeugt, dann wieder den Blick umherschweifen lassend – klar: Dieser Mensch weiß nicht, wo die Sachen auf seinem Zettel in diesem Supermarkt zu finden sind, weil er aufgrund seiner unsoliden und verschwenderischen Lebensweise das Einkaufen nicht gewohnt ist. Im Mittelgang kollidierte er mit dem Wagen der Frau Rhomberg, was zu genuschelten Entschuldigungen Anlass gab, und ja, er sei jetzt wieder im Lande, und ja, der Oma gehe es gut, und nein, sie sei nicht da, sondern verreist. Manfredo drängte mit seinem Wagen weiter an die Wursttheke, weil er dort eine Ansammlung von Frauen entdeckt hatte, die für seine Neuigkeiten mindestens das gleiche Interesse haben dürften wie Frau Rhomberg; die Damen Hämmerle, Hemetsberger, Kaserer … dann Frau Florian oder wie die hieß und noch ein paar, deren Namen ihm nicht mehr präsent waren. Frau Hämmerle begrüßte ihn, als er sich mit seinemWagen neben sie stellte, sie machte die neben ihr wartende Frau Hemetsberger auf Manfredo aufmerksam, ein Gespräch war danach unausweichlich – von Manfredo mit jener halb widerwilligen Höflichkeit geführt, in der schon jener Hauch von Herablassung zu spüren war, wie sie ein Künstler anschlagen mag, wenn er die Neugier von Provinzklatschtanten befriedigt. Frau Hämmerle und Frau Hemetsberger boten auch die Gewissheit, dass seine Neuigkeiten im Umkreis der Villa schnellstmöglich verbreitet würden. Hinter ihm hatte sich Frau Rhomberg aufgestellt, die dasselbe betreffend Oma Leupold nun noch einmal hörte.
    »Das Klima in Spanien ist ja wärmer«, sagte sie von hinten, »das wird ihr guttun.«
    »Das hoffe ich«, sagte Manfredo; die minus achtzehn Grad in der Tiefkühltruhe fielen ihm ein, und er lächelte.
    »Wo ist denn das?«, fragte Frau Rhomberg.
    »Bei Alicante, ein kleines Dorf«, antwortete Manfredo.
    »Mir wär das zu heiß im Sommer«, sagte Frau Hemetsberger, »die haben dort ja manchmal vierzig Grad!«
    »Man muss jetzt halt schauen, wie sie sich eingewöhnt, vielleicht kommt sie im Sommer wieder her«, sagte Manfredo.
    »Und Sie, bleiben Sie jetzt hier, Herr Leupold?«, fragte Frau Hämmerle.
    »Nein, ich hab berufliche Verpflichtungen in Wien, am Theater, wissen Sie, da kann ich nicht die ganze Zeit dableiben. Aber ich hab schon jemanden, der aufs Haus aufpasst …«
    Bald darauf war er an der Reihe und las die Einkäufe von seinem Zettel ab. Braunschweiger, zwei Paar Landjäger und ein Schweinsschnitzel.
    Hinter der Reihe an der Theke schob Schott seinen Einkaufswagen vorbei. Mit ihm redete niemand, er wurde an dieser Theke schon lange nicht mehr in Gespräche verwickelt, auch nicht an der Kasse. Wie es ihm ging, wussten alle, weil erin den ersten Wochen nach der Entlassung aus einem infantilen Mitteilungsbedürfnis heraus jedem sein Leid geklagt hatte, der sich nicht schnell genug in Sicherheit brachte. Schott hatte mit Erstaunen festgestellt: Die Menschen wollen keine schlimmen Geschichten hören, die Schadenfreude ist weit weniger verbreitet als Kulturpessimisten und Geistlichkeit behaupten. Mein Schicksal deprimiert sie, dachte Schott oft, sie wollen davon nichts hören; das ist doch ein schöner Zug von ihnen. Es rührte ihn. Deswegen waren die Menschen nicht gut, aber auch nicht so schlecht, wie er sie oft selber in seinen Artikeln gemacht hatte. Er fühlte sich aus diesem Grund auch nicht geschnitten oder abgelehnt und war nicht böse, wenn sie ihn nicht im Supermarkt ausfragten. Der Nebeneffekt bestand nun darin, dass er kaum mitbekam, was in der Nachbarschaft vorging. Das Gespräch zwischen diesem Manfredo und der Traube von Frauen, die sich um ihn zu drängen schienen, bekam er aber doch mit, weil das Schlüsselwort »Frau Leupold« in sein Bewusstsein gedrungen war. Erwartet hatte er erinnerungsschwangere Lobreden auf die verblichene Lehrerin, wie gut und nett sie gewesen war, welch kostbare Eigenschaften und entzückende Marotten sie gehabt hatte – stattdessen wurde da von einer Spanienreise geredet. Wieso? Er hatte doch mit eigenen Augen gesehen, wie die Frau Dr. Leupold schon eine Reise angetreten hatte, die

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