Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
Industriealkohol aus Bechergläsern zu trinken …«
    »Das ist kein Industriealkohol, das ist feinster Spiritus pro analysi. Trink ihn mit Verstand!«
    »Ich werde mich bemühen.« Manfredo nahm noch einen Schluck. »Fühlt sich kalt an.«
    »Du solltest einmal einen Achtundneunzigprozentigen probieren. Der ist wirklich kalt! Wie flüssiges Eis bis in den Magen. Gleich darauf explodiert er dir in der Birne.«
    »Ihr habt das alles ausprobiert?«
    »Wir waren jung …«
    Nach einer Weile sagte Manfredo: »Mit diesem Badeofen – da entziehst du das Wasser, oder?«
    »Ja, mit Vakuum. Da verlieren wir schon siebzig Prozent an Gewicht. Der Rest wird … zerkleinert und verbrannt.« Er hatte schon deutlichen Zungenschlag. Manfredo bemerkte, dass sich der Chemiker ein zweites Glas genehmigte.
    »Mit gefällt das nicht«, sagte er.
    »Mir auch nicht«, sagte Dr. Nowak.
    Sie tranken eine Weile und hingen ihren Gedanken nach. Sami begann zu schnurren.
    »Ich will, dass wir meine Oma begraben. Im Wald. Ganz normal begraben, wie sich das gehört.«
    »Eine richtige … äh … Erdbestattung im Wald wäre sicher das Pietätsvollste, was wir mit deiner Frau Großmutter unternehmen können …« Wenn Dr. Nowak besoffen wurde, neigte er zu gewählter Ausdrucksweise. Er stand auf und hob das Glas.
    »Auf deine Frau Großmutter! Sie war eine patente Frau, wir werden ihr Werk in ihrem Sinne fortsetzen!«
    »Auf dich, Oma!« Manfredos Stimme war schon wieder an der Kippe. Sie stießen an und tranken zwar nicht ex, aber doch jeder einen großen Schluck vom Sechzigprozentigen.
    Sami hatte sich verdrückt.
    Danach verschwamm alles im Rauschnebel, keiner von beiden wusste später, wie er ins Bett gekommen war, aber das war nicht wichtig. Wichtig war, dass die beiden sich entschlossen hatten, die verschiedene Frau Dr. Leupold zu begraben, wie sie es sich unter den herrschenden Umständen wohl gewünscht hätte. Ohne Musik und Ansprachen (auf Pomp hatte sie zu Lebzeiten keinen Wert gelegt), aber in einem halbwegs als normal zu bezeichnenden Grab üblicher Tiefe, so dass man nicht von »verscharren« sprechen müsste.
    Im Wald.

4

    Manfredo hatte sich einen Einkaufszettel gemacht, ganz klassisch mit Brot, Wurst und diversen Dosen, aus denen er sich in den nächsten Tagen zu ernähren beabsichtigte. Wirklich brauchen tat er nichts davon, er hätte essen gehen können, auch frühstücken ins Hotel »Krone«, aber das erschien ihm aus verschiedenen Gründen nicht opportun. Erstens tat man das als Einheimischer nicht, frühstücken im Hotel, das war nur etwas für Touristen. Zweitens bot ihm der Entschluss zur Selbstversorgung die Möglichkeit des Einkaufens beim SPAR in der Nähe der Villa seiner Großmutter; es war derselbe SPAR , wo die Oma selber immer eingekauft hatte. Dort war sie bekannt, dort würde ihr Ausbleiben auch am ehesten auffallen. Nicht von selbst, aber sicher in der Szene mit der klassischen Dialogzeile »… jetzt, wo Sie es erwähnen, Herr Inspektor – sie ist schon länger nicht hier gewesen … sicher schon eine Woche oder so …«.
    Das war nicht akzeptabel. Das Nicht-Auftauchen der Frau Dr. Leupold musste erklärt werden, ehe sich auch nur eine Vorform von Verdacht bildete. Und das war seine Aufgabe, diese Vorform von Verdacht zu zerstreuen. Das Vorhaben verlangte frühes Aufstehen. Er stellte sich den Wecker auf halb neun, damit er um neun mit angemessen übernächtigtem Aussehen im Supermarkt erscheinen konnte. Neun Uhr war unumgänglich, weil die Hausfrauen der Umgebung, wie er wohl wusste, um diese Zeit ihre Einkäufe zu erledigen pflegten – jedenfalls der Typus von Hausfrauen, auf den es ihm ankam. Manfredo war klar, dass in der Nachbarschaft über ihn gewisse Vorstellungen existierten, alle kannten ihn, offiziell war er »Künstler« mitdicken Anführungszeichen; von solchen Personen war bekannt, dass sie die Nächte durchmachten und bis Mittag im Bett blieben. Er wusste aus seiner Theaterarbeit: Man darf die Rezeptionserwartungen des Publikums nicht enttäuschen. Das ist das ganze Geheimnis. Auch sogenannte Theaterskandale sind in Wahrheit Inszenierungen, bei denen das Publikum mitspielt – wirklich wütend werden die Leute nur, wenn sie erwartet haben, sich aufregen zu dürfen, und dann nichts passiert. Diesen Fehler wollte er vermeiden. Also ging er ungekämmt und mit einem leichten Alkohol-Hautgout in den SPAR . In der einen Hand die Einkaufstasche der Oma, in der anderen einen extra

Weitere Kostenlose Bücher