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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Ruheplatz vor – das war ein Charakteristikum dieses Katers, dass er die Behauptung, Katzen seien Gewohnheitstiere, Lügen strafte. Sami war weit entfernt davon, sich dauerhaft an einem bestimmten Ort zur Ruhe zu legen. Er benutzte dazu viele verschiedene Plätze, im ganzen Haus verstreut, als wolle er dokumentieren, dass es ihm gehöre, dieses Haus. Schott ließ nach alter Gewohnheit alle Türen offen stehen, so dass Sami überall hinkonnte. Das tat er dann auch. Schott traf ihn an den unwahrscheinlichsten Orten schlafend an, auch an nach menschlichem Ermessen unbequemen und beengten, aber um das menschliche Ermessen ging es da nicht. Wenn Schott nach Hause kam und ihm der Kater nicht im Flur entgegenkam, rief er ihn. Manchmal kam er dann von irgendwoher, manchmal auch nicht. Dann blieb nichts übrig, als unter alle Möbelstücke zu schauen, alle Betten, Kästen und Kommoden, die so viel Bodenfreiheit hatten, dass sich der Kater darunterzwängen konnte. Dort schlief er dann irgendwie.
    Untertags war Sami weg. Wo er sich aufhielt, blieb ein Geheimnis wie bei den meisten Katzen. Den meisten Menschen ist das auch egal, sogar den Katzenbesitzern, weil sie untertags ihren Geschäften nachgehen. Da gönnen sie der Katze, dass sie es genauso macht. Nur am Abend sollte die Katze wieder daheim sein. Oder auch nicht – viele zeigen ja auch Verständnis für die nächtlichen Abenteuer des Katers. Aber hat sich schon jemand überlegt, wie das der Katze gefällt? Dieses tagelange Desinteresse? Die Katze geht viele Stunden, manchmal Tage ihrer Wege und ihr Mensch denkt keine Sekunde an sie. Sie fällt ihm erst wieder ein, wenn sie überfällig ist, da sein sollte undnicht da ist. Dann schleichen sich Horrorszenarien in seinen Kopf. Überfahren. Irgendwo eingesperrt, wo sie nicht mehr herauskann, eine Garage, ein Schuppen, ein Keller. Von Katzenfängern geraubt, die sie an die Medizinforschung verkaufen. Und so weiter.
    Ebendiese Gedanken gingen durch Schotts Kopf, als er an diesem Abend heimkam und Sami an keinem der Orte fand, die sich der Kater bis jetzt als Schlafplatz ausgesucht hatte. Er trat vors Haus und rief laut: »Sami!« Mehrere Male, in verschiedene Richtungen. Sami kam nicht.
    Schott hatte sich an diesem Tag bemüht, auf den Chefredakteur eines Anzeigenblattes einen guten Eindruck zu machen. Vielleicht würde das eine oder andere Artikelchen herausschauen. Nicht, dass er das Geld gebraucht hätte, das nicht gezählte Geld aus der Leupold-Villa würde sehr lange reichen. Er brauchte nicht das Geld, aber eine Beschäftigung. Vor dem Fernseher sitzen und spazieren gehen taten auf Dauer nicht gut. Er war den Termin mit dem jungen Schnösel des Gratisblättchens ganz entspannt angegangen. Noch vor wenigen Wochen hätte er sich schon bei dem Gedanken verkrampft, von einem Menschen abhängig zu sein, der halb so alt war wie er selber und blöd wie die Nacht dunkel außerdem. Deshalb hätte er den Job früher nie an Land gezogen … also schön, ein richtiger Job war es nicht, aber immerhin ein Auftrag über sogar zwei Artikel; einen über Mostbereitung, der andere über Gartenhächsler. Er freute sich darauf, er würde sich richtig reinknien in die Materie, wie er es früher als angestellter Journalist nie hätte tun können – weil zu viel andere Arbeit getan werden musste – und wie er es sich als Freelancer auch nicht leisten könnte, weil bei den lächerlichen Honoraren kein akzeptables Aufwand-Ertrag-Verhältnis zu erzielen war, wenn man kein verschärftes Husch-Husch-Verfahren anwandte. Aber er war ja auch kein gewöhnlicher Freelancer, sonderneiner mit Geld im Haus, das vermittelte ein Gefühl enormer Sicherheit.
    Aber bevor er den Mostbauern ihre Geheimnisse herauskitzelte und den Gartenmarktmenschen die absolute Unbrauchbarkeit ihrer Billighächsler nachwies (er besaß so ein Modell), musste erst einmal der Kater wieder auftauchen. Ohne Sami konnte er keinen klaren Gedanken fassen, da half keine Summe.
    Er ging vom Haus weg. Wohin? Es war egal und ein verzweifeltes Beginnen. Er hatte keine Ahnung, wo der Kater umging, jede Himmelsrichtung galt gleich, überall Gärten, Wiesen und Einfamilienhäuser, zum Glück keine Straßen mit viel Verkehr; Sami hätte weit laufen müssen, um sich überfahren zu lassen. Das Revier eines Katers maß laut Foto im Katzenbuch etwa dreihundert Meter, also sollte Sami sich in etwa diesem Umkreis aufhalten. Schott begann zwischen den Häusern herumzulaufen und nach Sami zu rufen.

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