Das unsagbar Gute
sind, Herr Autor, er soll doch diese Kamera in die Hand nehmen, ausholen und so weit wegwerfen, wie es geht!«
Oh, ihr Heuchler und Pharisäer! Ihr wollt doch gar nicht, dass es dem Schott weiter gutgeht! Ihr wollt doch, dass er sich in die Bredouille bringt, je schlimmer, desto besser. Wie bei allen Menschen, von denen ihr lest oder hört, wollt ihr, dass es sie bis kurz vors Verrecken treibt – und sie sich dann derrappeln, aber wirklich erst im letzten Moment. Wie viele andere dabei draufgehen, ist völlig wurscht, das sind Kollateralschäden, unvermeidlich, das ist halt so, da wird nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Die längste Zeit geht das schon so, seit den Anfängen der Erzähltradition. Man zähle nur einmal die »Gefährten« des Odysseus zusammen, die es im Verlauf seiner hirnrissigen Abenteuer erwischt hat. Die sind überhaupt nur dazu da, durch ihr immer Wenigerwerden die Größe der Gefahren zu untermalen, denen der Held entgeht. Und man komme jetzt nicht mit den Göttern des Olymp, die sich wegen jedem Dreck einmischen und jedes eigenverantwortliche Handeln unmöglich machen; diese sogenannten »Götter« sind Symbol gewordene Ausreden für die Unerbittlichkeit der Erzählung: Der Held ist der Gewinner, die anderen sind die Verlierer, passenderweise endet das Ganze dann mit einem Schlussmassaker auf Ithaka, das man vorausahnt: Wenn es schon den Freunden dieses ersten Helden des Abendlandes so beschissen geht, den »Hetairoi«, was wird dann erst aus seinen Feinden? – Und überhaupt: Die richtige Adresse für diese Art von Zwischenrufen sind die Katzen.
Sami und der Kater S.
Nachdem wir uns alle ein wenig beruhigt haben, hatte sich auch Schott ein bisschen beruhigt, Sami beobachtet, wie er die Knuspertäschchen runterspachtelte, sich ins Wohnzimmer gesetzt und die Kamera vorgenommen. Nein, er ist nicht vorsHaus gegangen und hat sie nicht so weit wie möglich weggeworfen. Sondern er hat sie untersucht. So vorsichtig wie möglich. Es war ein ziemlich klobiges Stück, schwer, doch handlich, »Canon« stand über dem Objektiv, an der Seite »EOS-1« und unten rechts »Mark III«. Er erinnerte sich dunkel, dass der Kollege Kloibmüller, der Fotograf, so eine Kamera verwendet hatte, ein Profigerät – über ein Kilo schwer. Schott selber hatte nie fotografiert und sich auch nie für den technischen Prozess interessiert. Interessiert hatte ihn immer nur das Ergebnis. Die Eingeweihten konnten sich stundenlang nicht einig werden, welcher Sensor mit wie viel Megapixel jetzt besser war … nicht zu vergessen die zusätzlichen Features. Pipapo. Eines der Gebiete, wo man sich hineinknien konnte, Zeitschriften abonnieren und vor Freunden mit den neuesten Erwerbungen angeben. Und unheimlich viel Geld versenken.
Aber Schott war in der Lage, die gespeicherten Bilder abzurufen, und das tat er auch. Die ersten in der Reihe waren unspektakulär. Sie zeigten die Leupold-Villa von verschiedenen Seiten, auch architektonische Details in höherer Vergrößerung, besonders Fenster. Und Personen. Frau Leupold war zu sehen, wie sie aus dem Haus ging oder dahin zurückkehrte, auch ihren Neffen Manfredo konnte Schott auf einigen Fotos erkennen, aber interessant war das alles nicht. Die Bilder schienen mit extremem Tele aus großer Entfernung aufgenommen. Dann begann eine zweite Serie, die war schon interessanter. Und beunruhigender. Denn nun hatte sich der unbekannte Fotograf näher ans Objekt herangewagt. Und hinein, man konnte es nichts anders sagen: Aufnahmen aus dem Inneren des Hauses. Fotografiert worden war anscheinend jeder einzelne Raum, dazwischen ein Grundriss, vom Computerbildschirm abfotografiert – und dann die dritte Serie aus dem Hobbylabor der Frau Professor im Keller. Lauter Nahaufnahmen. Dieser dritte Teil des Bilderbogens machte Schott stutzig. Der Mensch hatteoffenbar jedes einzelne Glasgefäß und Instrument aufgenommen, das dort herumstand; und weiter einige, die Schott bei seinem Kurzbesuch entgangen oder damals in Nebenräumen verstaut waren. Das meiste konnte er auf dem kleinen Display der Kamera nicht identifizieren; aber etwas daran war seltsam. Er kopierte sich die Bilder auf den Computer und sah sie noch einmal durch. Das Seltsame wurde deutlich: die Größe der Gefäße und der Behälter für die Chemikalien. Schott hatte sich nie mit Chemie befasst und das Fach im Gymnasium gehasst; eine öde Formelstreberei, am besten war es noch gewesen, wenn der Dr. Kalchschmied einen Versuch
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