Das unsagbar Gute
Alter erreichen lassen würden. Er hatte es sogar lieber als das feuchte Futter, weil er, wie Schott vermutete, wahrscheinlich Mäuse jagte und sein Bedarf an Frischfleisch daher gedeckt war. Sichere Gewissheit hatte Schott nicht, denn Sami brachte nie eine Maus ins Haus, wiedas Katzen zu tun pflegen, denen es ihre Menschen nicht abgewöhnt haben. Offensichtlich hatte das schon die verreiste Frau Leupold erledigt, und Sami bewahrte entsprechende Zurückhaltung auch im neuen Heim.
Bei seinen Mahlzeiten hatte sich ein eigentümliches Ritual herausgebildet: Es begann damit, dass Schott die Fressnäpfe der Katze (einen für feuchtes, einen für trockenes Futter) im sogenannten Hauswirtschaftsraum aufstellte. Jedenfalls hatte dieser Raum vor vielen Jahren auf dem Plan der Fertigteilfirma so geheißen; die Idee war wohl, dass darin gebügelt und gewaschen werden sollte, Sauerkraut eingestampft und so weiter. Die Waschmaschine stand tatsächlich darin, gebügelt worden war hier aber nie, weil das die ehemalige Frau Schott rundheraus verweigert und Schott selbst nie Lust dazu verspürt hatte. Es standen ein paar Regale herum, es gab ein großes Waschbecken – und neuerdings Nahrung und Wasser für Sami, den Kater. Mit der Lokalität hatte der keine Probleme. Er ließ sich alles zeigen wie ein Feriengast das gemietete Sommerhaus und verzehrte auch – mit den erwähnten Schwierigkeiten und Verzögerungen – die dargebotenen Nahrungsmittel. Die Seltsamkeit setzte ein, als sich die Fütterung eingespielt hatte. Sami erschien dann im Wohnzimmer, strich Schott um die Beine, sandte durchdringende Blicke von unten und ließ statt eines Miau-Lautes das samitypische leise Krächzen hören, das Schott anfangs irritierte: War das Tier krank, litt es an einer Missbildung des Kehlkopfs? Vielleicht die Katzenentsprechung eines Sprachfehlers, der ihn am Miauen hinderte? Schott hatte keine Zeit, über diesen Fragen zu grübeln, weil ihn der Kater zur Begleitung in den Wirtschaftsraum drängte.
»Ich hab dir doch grad vorhin was gegeben«, sprach Schott zum Kater, »das kann doch nicht schon wieder fertig sein!« Er hatte wie die meisten Menschen, die allein mit einem Tier leben, die Gewohnheit angenommen, mit diesem Tier zu reden;allerdings schon am ersten Tag, das dürfte ein Rekord sein. Schott folgte dem Kater. Der Napf war halbvoll, Sami begann daraus zu fressen, ohne Schott eines weiteren Blickes zu würdigen; der Mensch durfte sich wieder zurückziehen. Das wiederholte sich oft. Schott begriff nicht, was ihm das Verhalten des Katers mitteilen sollte. Erst dachte er, Sami wolle ihm zeigen, wie viel respektive wie wenig Futter noch da war, aber Schotts Begleitung in den Wirtschafstraum wurde auch fünf Minuten nach Auffüllen der Näpfe gefordert – wobei Sami dieses Auffüllen mit eigenen Augen verfolgt hatte. Schotts Katzenbücher (es wurden bald mehrere) gaben darüber keine Auskunft, nur die etwas wolkig allgemeine, dass Katzen »zu merkwürdigen Verhaltensweisen neigen«. Mit der Zeit kam Schott zu dem Schluss, dass es sich um ein Ritual handelte. Der Kater verlangte nach so etwas wie der Billigung – oder sollte man sagen: nach dem Segen? – seines Menschen für sein Essen. Eine Art Tischgebet. Dann wäre Sami, dachte Schott, ein besonders frommes Tier, er scheint in mir eine Art höheres Wesen zu sehen. Das anwesend sein soll, wenn er frisst …
Natürlich hatte Schott recht: Genau so war es.
Nach vierzehn Tagen mit dem Tier konnte sich Schott nicht mehr vorstellen, wie es ohne den Kater gewesen, wie überhaupt seine Tage ohne ihn abgelaufen waren. Was hatte er nur gemacht? Nicht viel anderes als eben jetzt. Samis Fütterung nahm kaum Zeit in Anspruch, und die Interaktion mit dem Tier beschränkte sich auf die Abendstunden. Dann kam Sami herein und gesellte sich zu seinem Menschen, der die meisten Abende vor dem Fernseher verbrachte. Die Beine legte Schott auf einen gepolsterten Hocker, der breit genug war; Sami lag dann zusammengerollt neben Schotts Unterschenkeln. Allerdings schätzte der Kater, wenn dieses Arrangement möglichst bis zum Zu-Bett-Gehen eingehalten wurde, soll heißen: Beunruhigungen wie aufstehen und so weiter sollten unterbleiben.Er sprang dann vom Hocker herunter, beobachtete seinen Menschen mit großen Augen, wie der aufs Klo ging und wiederkam, und schien zu überlegen, ob sich weiterer Aufenthalt bei einem so unruhigen Wesen auszahlte. Manchmal kam er dann zurück, manchmal zog er einen anderen
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