Das unsagbar Gute
zusammengerollt auf einem Stuhl unten im Wohnzimmer. Als ihn Schott auf den Arm nehmen wollte, fauchte ihn Sami an undversuchte den Menschen mit der rechten Vordertatze zu erwischen, sprang dann mit großem Ungeschick von der Sitzfläche hinunter, was kein Wunder war, weil er dazu nur drei Beine benutzen konnte, das vierte, das linke vordere, hielt er angezogen, vermied es, die Pfote aufzusetzen. Warum, war auch klar. Auf der Vorderseite des Unterschenkels prangte ein dicker roter Fleck und auf der Rückseite ein zweiter. Ein Untier hatte da mitten durchgebissen. Sami litt Schmerzen, das konnte man sehen. Er humpelte an Schott vorbei in Richtung Wirtschaftsraum, aber Schott war schneller, er rannte am Kater vorbei und verriegelte den Sperrmechanismus der Katzenklappe. Schott lief wie auf Autopilot, er wunderte sich nachher, wie gut das alles klappte, wie eine angekündigte Übung bei der Feuerwehr. Er nahm den Katzenkäfig vom Regal und zog die dickledernen Stulpenhandschuhe an, die zum offenen Kamin gehörten und nie benutzt wurden. Den Käfig hatte er zusammen mit der übrigen Grundausrüstung gekauft. Dann packte er den Kater, ließ ihn in einer einzigen, fließenden Bewegung in das senkrecht gestellte Katzenbehältnis gleiten und schloss das Türgitter. Sami begann zu jammern. Es klang wie das Weinen eines Kindes. Jedenfalls kam es Schott, der nie viel Gelegenheit gehabt hatte, Kinder weinen zu hören, so vor. Schott legte die Handschuhe auf den Deckel und wählte die Nummer auf dem Zettel, der bei den Futtervorräten im Regal hing. Tierklinik Dr. Rhomberg stand darauf; Schott hatte die Notiz gleich nach der Besprechung mit Manfredo angefertigt. Die Tierklinik Dr. Rhomberg war Tag und Nacht geöffnet.
Schott schilderte der Dame die Leiden des Katers und erhielt die Aufforderung, mit demselben sofort zu erscheinen – nachdem er zugeben musste, Sami mache einen müden, ja trüben Eindruck und das Fell komme ihm, wenn er es recht bedenke, stumpfer vor als sonst. Schott packte den Käfig auf den Rücksitz und fuhr los. Sami ließ sein Wimmern hören, Schott redeteberuhigend auf ihn ein, den Kopf halb nach hinten gedreht, was das Fahren etwas unsicher machte. »Wir sind gleich da, Sami, nicht weinen, Sami, wir sind gleich beim Doktor.« Mit knapper Not vermied er es, Onkel Doktor zu sagen; die Szene war auch so bizarr genug – ein Rest des Vor-Sami-Schotts sprach in seinem Kopf zu ihm: Du fährst siebzig im Stadtgebiet und passt nicht auf die Straße auf, weil du mit einer Katze auf dem Rücksitz redest! Und weißt du eigentlich, was diese Tierärzte kosten? Die Katze ist nämlich nicht in der Krankenkasse, wenn du das gedacht haben solltest … »Erstens«, erwiderte der Nach-Sami-Schott, »ist das ein Kater, keine Katze, und zweitens kann ich es mir leisten, ich hab ein paar Drogendealer expropriiert, also halt den Rand und red nicht über Dinge, von denen du nichts verstehst!« Vor-Sami-Schott war beleidigt und schwieg, dafür fing Sami wieder an zu jammern. »Nicht weinen, Sami, wir sind gleich da …« Die Fahrt verlief auf diese Art sehr kurzweilig und Schott hatte recht. Sie waren da.
Die Tierklinik befand sich in einem weitläufigen Siebziger-Jahre-Bau am Stadtrand. Die Praxis im Erdgeschoss, darüber wohl noch Wohnungen und Büros. Ein dezentes Edelstahlschild mit mehrzeiliger Aufschrift an der Tür, daraus ging hervor, dass Dr. med. vet. Hildegard Rhomberg von Montag bis Freitag jeweils von 9:00 bis 11:00 und von 14:00 bis 17:00 Uhr ordiniere, am Samstag nur von 9:00 bis 11:00 Uhr. Notfälle jederzeit! stand dort noch, eine seltsame Formulierung, überlegte Schott, während er die Tür aufzog, irgendetwas daran passte ihm nicht, es klang fast wie eine düstere Drohung – klar konnten Notfälle jederzeit passieren, es fehlte eine erklärende Ergänzung, etwa: Notfälle werden jederzeit behandelt oder so ähnlich, gleich darauf fiel ihm ein: Du bist ein Korinthenkacker erster Ordnung, weißt du das? Er wusste es ja.
Der Warteraum war voll. Schott verzichtete darauf zu zählen. Der Grundriss L-förmig, um die Ecke fand er noch einenPlatz. Er stellte den Korb darauf ab und ging nach vorn. Einen Anmeldeschalter gab es nicht, er klopfte an die mit Behandlungsraum 1 bezeichnete Tür. Eine junge Dame in weißem Kittel öffnete. Er habe angerufen, sagte er, der Kater sei gebissen worden … ja, gleich, es dauere noch ein bisschen, die Assistentin nahm einstweilen die Personalien auf. Seine und die von
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