Das unsagbar Gute
Linke noch weiter auf die Ecke zu, um den Kater zu packen, stützte sich mit der Rechten am Boden ab. Nein, nicht am Boden. Auf ihrer linken Hand. Sie protestierte nicht. Auf der Handfläche.
»Ja, so!«, keuchte sie und packte Sami im Nacken, blitzschnell war das gegangen, aber um zu verhindern, dass Sami ineiner letzten, verzweifelten Aktion einen Prankenhieb auf die böse Hand seines verräterischen Menschen landete, nicht schnell genug. Es tat weh und wurde nass. Geschieht mir recht, dachte Schott, wegen erwiesener Feigheit vor dem Feind, von Rechts wegen sollte ich erschossen werden. Seine Gedanken verhedderten sich, seine Gefühle noch mehr, Wut auf den Kater, Wut auf sich selbst wegen Sich-idiotisch-Anstellens und gleichzeitig ein lang nicht gekanntes Gefühl, das er nicht einordnen konnte, nur dass es gut war, sehr gut, das wusste er, und dass es mit Trost zu tun hatte und der Überzeugung von glücklicher Zukunft und gutem Ende und so weiter über jedes Ende hinaus; alles wegen ihrer Hand, auf der immer noch die seine lag, nicht mehr gepresst, weil er sich nicht mehr abstützte, seine Rechte lag einfach in ihrer Linken, die Finger griffen halb ineinander, als ob die beiden spazieren gingen, einander haltend. Sie schien das normal zu finden, machte keine Anstalten, sich zu befreien, ihre Hand fühlte sich wohl in der seinen, sie redete mit dem Kater, den sie am Nackenfell gepackt hielt und unter dem Schrank hervorzog, Zentimeter für Zentimeter. Er sträubte sich, hielt nichts vom Herauskommen, stemmte die Pfoten gegen den Boden. So ging es ab und zu wieder ein paar Zentimeter zurück, dann wieder vor. »Komm, Sami, komm, gleich vorbei …« Ein Strom beruhigender Worte, gleichmäßig und leise mit einem gurrenden Unterton. »So ist’s gut, braver Sami, lass meine Hand nicht los …« Nein, das hatte sie nicht gesagt, seine Sinne spielten ihm einen Streich, aber nicht alle, nur der Hörsinn, der Tastsinn und der Sehsinn meldeten einfach, was gerade passierte: dass er seine Finger jetzt in die ihren verschränkt hatte und sie die ihren in seine; »Verknotigung« fiel ihm ein, woher kam das? Aus »Ännchen von Tharau«, genau, »… soll unsrer Liebe Verknotigung sein …«, hieß es da, Simon Dach, Barockdichter, wie kam er jetzt darauf? Das Wort war ihm jahrzehntelang nicht mehr untergekommen, das gabes überhaupt nur in diesem Lied, dessen Melodie ihm jetzt einfiel, wo hatte er es her? Und was, zum Geier, soll »der Liebe Verknotigung« sein? Das hatte er vergessen. Was war das überhaupt für ein Wort? Aus einem der berühmtesten deutschen Liebesgedichte, hörte sich aber nach einer unangenehmen medizinischen Komplikation an, nicht nach etwas Erotischem. Eine »Verknotigung« will man sich nicht anschauen, man will nicht einmal wissen, was das ist.
»Was ist denn hier los?«
Eine Stimme aus der Höhe, von hinten, männlich und belustigt klingend. Ach so. Der Ehemann, die männliche Hälfte des Veterinärduos.
Alles aus.
»Helfen Sie uns doch, Dr. Vazquez«, sagte sie so laut, dass es eine Schar interessierter Zuhörer verstanden hätte. Es war aber sonst niemand da. Außer Dr. Rhomberg, Dr. Vazquez, dessen leichter Akzent Schott erst jetzt auffiel. Den die Frau Doktor mit »Sie« ansprach, was sie kaum täte, wenn sie mit ihm verheiratet wäre – und Schott war da, dem dies nun auffiel, und der leise knurrende Sami. Dr. Vazquez murmelte etwas Spanisches, es klang nach Belustigung, und kniete nieder, zwängte sich rechts neben die Frau Doktor an die Wand (denn zwischen die Ärztin und Schott passte nicht einmal mehr das sprichwörtliche Blatt Papier, sie klebten aneinander); dann griff er unter den Schrank und holte den widerstrebenden Kater mit einem einzigen Griff heraus und plazierte ihn auf dem Untersuchungstisch.
Nichts aus.
Alles ging weiter. Zunächst mit dem Aufrappeln vom Boden. Ihre Hände lösten sich voneinander. So sah es aus, so war es ja erforderlich beim Aufstehen. Aber in Wahrheit, das schoss Schott durch den Kopf, in Wahrheit lösten sie sich nicht. Wie auch? Wie das halt so ist mit Verknotigung.
Von Schotts Hand tropfte Blut auf den Boden. Vier scharf-rote Spuren auf dem Handrücken. »Machen wir gleich«, sagte Dr. Vazquez und reichte ihm ein Papierhandtuch. »Erst der Kater …«
»Natürlich«, sagte Schott, »ist ja auch eine Tierarztpraxis.« Frau Dr. Rhomberg lachte, dieses Lachen rieselte wie ein feiner Wasserstrahl in Schotts erhitztes Gemüt, dass ihm ganz
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