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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Sami. Wann geboren und wo, wann geimpft und so weiter. Stand alles in Manfredos Unterlagen, die er mitgebracht hatte.
    In dem Raum lastete nicht jene Wartezimmerstille mitteleuropäischer Arztpraxen, sondern die lockere Atmosphäre eines Theaters kurz vor Beginn der Vorstellung. Alle redeten miteinander. Schott bekam auch gleich mit, worüber. Die Leute redeten über ihre Tiere. Diese Tiere in diversen Körben und Käfigen blieben still. Auch die beiden Hunde saßen bei ihren Besitzern (Herrchen respektive Frauchen) und gaben keinen Mucks von sich, obwohl ihnen gegenüber eindeutig als Katzen identifizierbare kleinere Tiere zwischen den Stangen ihrer Hartplastikkäfige hervorspähten. Ein Vierzehnjähriger hatte eine Pappschachtel mit einem apathischen Meerschweinchen auf dem Schoß. Nur ein dritter, sehr junger Hund, ein Schnauzer, wuselte zwischen den Beinen seines Besitzers herum und ließ ab und zu ein Fiepen hören, leise, aber durch Mark und Bein gehend, von großer Angst zeugend. Schott verstand: All diese Tiere wussten, wo sie waren, aber nicht, was mit ihnen geschehen würde. Sie hielten diesen eigentümlichen Burgfrieden, weil sie spürten, dass es hier um Tod und Leben ging, der Ort hatte die Aura jener Tiere aufgenommen, die hinter der Praxistür gestorben waren – man brachte ja auch die Kandidaten zum Einschläfern hierher. Hunde, die eine Million Mal besser riechen konnten als Menschen, mochten den Geruch des Todes in der Nase haben; Katzen erspürten es mit ihrem sechsten Sinn. An einem Ort wie diesem fängt man keinen Streit an. Der Gedanke erfüllte Schott mit Trauer. Darin versinkenkonnte er aber nicht, weil die freundliche Dame zur Linken wissen wollte, was denn die wunderschöne Katze habe?
    Gebissen worden, sagte Schott und erfuhr nicht nur von der Dame zur Linken, sondern auch von der zur Rechten und von dem Herrn schräg gegenüber, einem Hundebesitzer, eine solche Flut der Anteilnahme, dass er verlegen wurde. Dann kamen mehrere Beißgeschichten von Katzen und Hunden, die meistens gut ausgegangen waren, manchmal aber auch nicht, weshalb sofortiger Tierarztbesuch beim ersten Anzeichen obligatorisch sei; wie lange denn der Biss schon her sei? Das wisse er eben nicht, sagte Schott, der mit einem Mal das Gefühl hatte, sich verteidigen zu müssen, er habe nichts gesehen, ihm sei an dem Kater nichts aufgefallen. Das war nun kein Grund zu offenen Vorwürfen, auch nicht zu versteckten, sondern zu weiteren Erläuterungen der Situation: Das sei ja eben das Problem bei Katzen, dass man die Bisse, die sie einander zufügen, unter dem Fell so schwer sieht, weil sie an der Oberfläche gleich zuheilen und innen drin die Infektion zu wüten beginnt. Nach drei Tagen kann es schon zu spät sein. Schott blickte auf Sami. Apathie war eine Untertreibung, wahrscheinlich hatte er Fieber. Aber keine Angst, beschwichtigte ihn die Dame zur Linken, es gebe da ganz hervorragende Antibiotika, die auch schwierige und späte Fälle noch zum Guten wenden könnten.
    Und dann wurde er auch schon aufgerufen.
    Der Behandlungsraum war so hell, wie er das erwartet hatte, ein großes Fenster auf der gegenüberliegenden Seite, Glasschränke mit medizinischem Material, ein kleiner Schreibtisch, aber kein Sessel für den Patienten, sondern eine Art hoher, schmaler Tisch mit Rollen und Plastikauflage.
    »Stellen Sie ihn einfach da rauf«, sagte die Gehilfin und verschwand im Nebenraum. Schott setzte den Käfig ab. Aus dem Nebenraum auf der anderen Seite dröhnten Gesprächsfetzen knapp unterhalb der Verstehbarkeitsgrenze, ein Bass und eineFrauenstimme, von einem Tier war nichts zu hören. Vielleicht noch ein Arzt oder ein … wie sagt man da? Klient? Patient ist ja das Tier … die Frau wäre dann die Ärztin. Aber so war es nicht. Die Ärztin erschien.
    Schlank, groß, pechschwarzes Haar. Sie gab Schott die Hand. Schott murmelte eine Begrüßung. Er war irritiert. Klar, das war die Frau Dr. Rhomberg, sie hatte es selber gesagt, aber etwas stimmte nicht. An ihrem Äußeren. Sie sah nicht aus wie eine Tierärztin. Vielleicht noch wie eine Tierärztin aus einer TV-Serie, aber sogar dafür übertrieben. Sie sah aus wie ein Model. Nein, das kann man auch nicht sagen, dachte er; die haben alle so was Künstliches, Aufgeblasenes, na ja, Aufgespritztes. Die Dr. Rhomberg sah dagegen so aus, wie ein Model eigentlich aussehen müsste, wenn es nicht durch den Modelbetrieb verbogen und entstellt wäre. Sie sah einfach aus wie die schönste

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