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Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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mit Manfredo keinen Sinn, er war auch nicht in der Lage, zur Erhöhung der Sicherheit beizutragen. Er schlief wie ein Stein, der Alarm weckte ihn nicht auf, jedes Kind konnte ihn mit einem Kissen ersticken, mehr Gewaltanwendung war dazu nicht nötig. Manfredo schien sich deswegen aber keine großen Sorgen zu machen. »Du wirst das schon hinkriegen«, sagte er. Dr. Nowak verstand: Die Sicherheit war nun allein seine, Romuald Nowaks, Angelegenheit und Aufgabe. Schon vom Augenblick an, als er die Kameras erwähnt hatte. Manfredo verhielt sich wie ein Vierjähriger, dem die Kindergartentante die Schuhe zubindet; das kann sie, dafür ist sie da, da braucht der kleine Manfredo sich keinen Kopf zu machen. Pathologische Reaktion einer nie geforderten, verhätschelten Generation, die nie erwachsen wurde. Das erfüllte Dr. Nowak mit Bitterkeit. Alles blieb an ihm hängen. Die Lösung mit den Lampen war nicht ideal, das wusste er selber, aber es fiel ihm keine bessere ein. Also beließ er es dabei.
    Die Überzeugung, der Feind komme in der Nacht, hatte sich so in ihm festgesetzt, dass er ihn nicht erkannte, als er vor der offenen Tür stand. Manfredo war für Besorgungen in der Stadt, Dr. Nowak saß bei einem verspäteten Frühstück in der Küche, es läutete an der Tür, mitten am Vormittag, Dr. Nowak dachte an gar nichts und machte auf.
    Charly trat ein, als sei er hier zu Hause. »Ist Manfredo da?«, fragte er.
    »Einkaufen«, erwiderte Dr. Nowak. Seine Stimme klang leise, er war eingeschüchtert. Charly machte die Tür zu. »Und wer bist du?«
    »Nowak, Romuald Nowak.«
    »Romuald, soso. Sag einmal, Romuald, wieso machst dueinfach die Tür auf, wenn jemand läutet? Hm? Kannst du mir das verraten? Ihr wisst doch beide, dass jemand kommt. So jemand wie ich. Ich meine, wenn ich nicht ganz falsch liege, dann muss euch doch der liebe Guttmann darauf hingewiesen haben, oder?«
    »Guttmann hat uns nichts mitgeteilt.« Das ist die lautere Wahrheit, dachte Dr. Nowak.
    »Nichts mitgeteilt, aha.« Charly fing an zu lachen. »Also habt ihr niemanden erwartet?«
    »Doch, schon …«
    Charly deutete fragend auf die Tür.
    »Wir dachten, es bricht jemand ein … in der Nacht. Davor hatten wir wirklich Angst.«
    »Ach so? Und wenn einer am hellen Tag kommt, nicht?«
    »Wenn einer in der Nacht kommt, will er uns gleich umbringen, haben wir halt gedacht …«
    »Klingt logisch. Aber warum denkt ihr, das passiert nicht, wenn ich am Tag komme?«
    »Nein, nicht sofort. Zuvor gibt es Verhöre, Demütigungen, Quälereien …«
    Charly runzelte die Stirn. »Woher hast du diese Ideen?«
    »Aus Mafiafilmen. Hauptsächlich.«
    »Aha. Nehmen wir an, das stimmt, was du dir vorstellst. Wieso bist du dann so ruhig?«
    »Ich bin nicht ruhig. Schau nur auf meine Stirn! Sie ist ganz nass!« Dr. Nowak trat nahe an Charly heran, deutete mit der Linken auf seine schweißbedeckte Denkerstirn. Der Typ ist verrückt, dachte Charly. Verrückt geworden vor Angst. So was kommt vor. Er grinste. Die Situation war absurd. Er hatte nicht vor, jemanden zu demütigen oder »zu verhören«. Er hatte auch nicht vor, jemanden umzubringen. Nicht in diesem Fall.
    Er hätte das halt früher sagen sollen. Nicht gleich, aber früher. Fünf Sekunden oder so. Aber er grinste nur, weil ihndie Situation amüsierte. Insbesondere das Grinsen war ganz schlecht. Weil Dr. Nowak genau so ein Grinsen erwartet hatte. Wenn er diesem Charly unter anderen Umständen begegnet wäre, hätte er an ihm manches Unerwartete entdecken können, die natürliche Intelligenz mancher Vertreter bildungsferner Schichten, Mutterwitz und vieles mehr. So aber sah er nur dieses fettige Grinsen, das Zeichen des körperlich Überlegenen, des gewaltbereiten Schlägers, das Zeichen des Abschaums. Also sagte er: »Natürlich haben wir auch am Tage Angst vor euch, aber nicht so viel wie in der Nacht …«
    »Warum?«
    »Untertags sind wir besser vorbereitet.« Mit diesen leisen Worten stieß Dr. Nowak seinem Gegenüber die Spitze des selbstgebauten Tasers in den Bauch. Charly brach mit einem Laut des Erstaunens zusammen, während ein paar Tausend Volt durch seinen Körper strömten. Er hatte großes Glück, weil Dr. Nowak die Wirkung nur ungefähr berechnet und nicht an einem lebenden Objekt getestet hatte. (Manfredo wollte sich partout nicht zur Verfügung stellen.)
    Nein, eigentlich, wenn wir es genau bedenken, hatte Charly gar kein Glück; das ist nur so eine Redensart, man sollte bei der Wahrheit

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