Das unsagbar Gute
einem Wimmern abgeklungen war, sagte Dr. Nowak: »Sie werdenja wissen, wie das jetzt weitergeht, mein Lieber. Wenn Sie es nicht wissen, weil Ihnen die Phantasie dazu fehlt, dann darf ich Sie aufklären: Ich zerschlage Ihnen jetzt mit diesem Hammer jeden einzelnen Knochen. Mit den Füßen fange ich an, erst mit dem linken, dann kommt der rechte dran, dann arbeite ich mich über die Schienbeine hoch, einen Vorgeschmack konnte ich Ihnen ja eben schon liefern – wie das dann wird mit den Schienbeinen. Dann kommen die Knie an die Reihe …«
»Was wollen Sie?«, unterbrach ihn Charly. Unterbrechen war riskant, aber bei Typen wie diesem Nowak das einzige Mittel. Charly kannte solche Leute. Die taten nie etwas Gewalttätiges, bis sie der Zufall darauf brachte. Und dann konnten sie nicht mehr aufhören; wie die Menschen, die nach der ersten Zigarette schon süchtig sind und eine Woche später eine Schachtel rauchen. Die fanden kein Ende mehr. So einer würde ihn totschlagen. Davon musste er ihn abbringen. Es kam darauf an, die Sache wieder auf eine rationale Grundlage zu stellen, auf ein Wollen und Erwarten und Kriegen. Auf Tausch, das Rationalste von allem. Dr. Nowak (da hatte Charly Glück) war jemand, der darauf ansprach.
»Wer hat Sie geschickt?«
»Hat denn Manfredo gar nichts erzählt?«
»Nein.«
Charly begann zu erzählen, während in seinem linken Bein der Schmerz wütete wie ein reißendes Tier. Er unterbrach sich selber, zog scharf die Luft durch die Zähne, um nicht laut herauszuschreien. Lange Pausen durfte er nicht machen, sonst brachte er den Nowak wieder auf die andere Spur, weg vom Tausch Wohlverhalten gegen Informationen. Zurück zur reinen, sich selbst genügenden Gewalt, die nur ein Ziel hatte: absolute Vernichtung. Er erzählte von Bindl, dessen Rolle in Wien, von seiner eigenen, Charlys, Rolle in Bindls Organisation. Er redete und redete. Es kam darauf an, die Rede nichtzu unterbrechen, eigentlich wie bei einer Prüfung; solang der Kandidat redet, stellt der Prüfer keine Zwischenfragen. Charly holte mit seiner Erzählung immer weiter aus und berührte immer weitere Kreise seiner Wiener Existenz: die Kumpane in der Organisation, deren Charaktereigenschaften, die er in düsteren Farben schilderte, ihre Marotten und sexuellen Verhältnisse bis hin zu ihren Lieblingsspeisen. Der Schmerz im Knie ließ allmählich nach, der im Schienbein blieb fast unverändert. Charly dachte daran, dass der Verrückte auf die Idee kommen könnte, noch einmal auf dieselben Stellen zu schlagen, er geriet in Panik und fing an zu hecheln.
»Was haben Sie?«, fragte Dr. Nowak.
»Nichts. Ich frage mich nur, was für Sie speziell interessant wäre, ich will Sie ja nicht langweilen.«
Dr. Nowak grinste. »Das wäre keine gute Idee«, sagte er. »Nun ja … da Sie so auskunftsfreudig sind, erzählen Sie mir doch etwas mehr über diesen Bindl. Wo wohnt er denn, zum Beispiel?«
Charly nannte die Adresse.
»Kommt mir nur ein bisschen … unterklassig vor«, sagte Dr. Nowak. »Ich meine, dieser Bindl verdient doch einen Haufen Geld. Wieso wohnt er dann im Sechzehnten?«
»Zur Tarnung! Es ist nah am Gürtel, aber doch eher unauffällig …«
»Und in Gürtelnähe hat er sein Lokal, verstehe. Wie kommt man da rein?«
»Ins Lokal?«
»Nein, das ist zu gefährlich. In seine Wohnung.«
»Überhaupt nicht, vergessen Sie das, das ist viel zu gut …«
Charly unterbrach sich selber mit einem spitzen Aufheulen, als ihm Dr. Nowak den Hammer mit voller Wucht aufs Schienbein drosch. Auf dieselbe Stelle wie beim ersten Mal. Der spitze Schmerz zog sich nur allmählich zurück, hinterließ ein fressendesReißen im Bein. Dr. Nowak ließ ihm Zeit, bis Charly wieder so weit war, zu hören, was man ihm sagte.
»Unterlassen Sie, wenn Sie mit mir reden, im eigenen Interesse Formulierungen wie das können Sie nicht oder das dürfen Sie nicht oder ganz allgemein Imperative … Sie wissen doch, was ein Imperativ ist, oder?«
»Befehlsform …«, ächzte Charly.
»Ja, eben! Ich nehme von Ihnen keine Befehle entgegen, verstehen Sie mich? Und jetzt will ich jede kleine Einzelheit über die Wohnung von diesem Bindl sowie die Wohnungen, die daneben liegen, wirklich alles, auch das, was Ihnen bedeutungslos vorkommt. Sie haben es jetzt in der Hand. Reden oder …« Er pochte mit dem Hammerstiel auf den Fußboden. »Dieses Klopfen ist die letzte Warnung, verstehen Sie? Dann ist Schluss!«
Charly nickte heftig. Der Mann war verrückt,
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