Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsagbar Gute

Das unsagbar Gute

Titel: Das unsagbar Gute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
Vom Netzwerk:
wagte nicht zu fragen. Die Dinge hatten eine Entwicklung genommen, die ihm missfiel. Er kannte sich nicht mehr aus. Nowak kannte sich aus. Sagte er. Er hatte ihn als Chemiker angeheuert, aber jetzt plante der Mann Sachen, an die Manfredo nie gedacht hatte, und zum Denken kam er nicht mehr, Romuald Nowak war schneller. Sie hatten auch keine Zeit, das war nicht zu bestreiten; es ging nicht an, den Lauf der Dinge durch langwierige Analysen zu verzögern. Sie mussten schneller sein als Bindl.
    Er packte die Sachen, die er mitnehmen sollte, in seine Reisetasche, Nowak tat das Gleiche mit den seinen. Auch so ein Punkt: Warum zwei Reisetaschen, warum konnte einer nicht einen Rucksack nehmen? Oder einen Koffer? Zwei Männer mit Reisetaschen, das war doch auffällig – hatte StanislawLem nicht etwas darüber geschrieben? Was würde man annehmen, wenn einem lauter Leute mit einem Gipsbein begegnen? Er brachte nicht mehr zusammen, worum es dabei gegangen war, irgendwas über den Charakter der Realität oder unser Bild von ihr oder so ähnlich. Er hätte das Thema ansprechen sollen, er tat es nicht, Manfredo Gonzales Leupold hatte allen Mut verloren.
    Am späten Nachmittag brachen sie auf.
    Alles lief ohne Probleme. Manfredo war zuerst in der betreffenden Straße, er lief brav an der Hausnummer vorbei und begegnete Dr. Nowak auf der anderen Seite des Blocks. Sie gingen miteinander zu ihrem Ziel, jetzt, meinte der Chemiker, sei das wieder unauffälliger. Völlig verrückt. Nowak läutete an der dritten Klingel von oben. Niemand meldete sich. Es geht schon schief, dachte Manfredo. Wir sind noch nicht einmal drin und schon geht es schief. Und es liegt einfach daran, dass wir Amateure sind. Wir haben keine Ahnung von dem, was wir hier tun. Ich nicht und Nowak auch nicht. Das ist nicht unser Metier. Was ist das überhaupt für eine Art, in ein Haus einzudringen: einfach so lang klingeln, bis jemand aufmacht?
    Bei der dritten Klingel folgte das Summen des Öffners, ohne dass sich jemand über die Sprechanlage gemeldet hätte. Dr. Nowak machte die Tür auf und grinste. Er ging den schmalen Flur entlang zum Lift. Sie fuhren zum fünften Stock empor.
    Als er die Tür sah, war Manfredo erleichtert; zwar mit Zylinderschloss, aber sonst ein Behelfsmodell für den Bau mit dünnem Türblatt. Sie zogen die Malerkluft an. Das Schloss gab dem Druck des Brecheisens sofort nach. Sie traten ein. Dr. Nowak zog die Tür zu. Wenn man nah herankam, sah man den Schaden, aber vom Treppenhaus fiel er nicht auf. Profis hätten diese Witztür aufgebracht, ohne Spuren zu hinterlassen, aber sie waren halt keine Profis. Damit mussten sie leben.
    »Wir lassen sie einfach offen, ganz weit auf, verstehst du?«Manfredo stellte das mitgebrachte Kofferradio in die Diele der leeren Wohnung und schaltete ein. »Eine offene Tür, Popmusik und ein Farbeimer – die Handwerker sind da!«
    »Vorurteile! Das ist typisch für dich!« Aber Dr. Nowak meinte es nicht ernst. Er war erleichtert. Er hatte bei diesem Plan nicht alles bedenken und voraussehen können, dazu war keine Zeit gewesen. Ohne Improvisation würden sie nicht ans Ziel kommen, das wusste er, und es behagte ihm nicht. Aber er konnte nichts dagegen tun, Manfredos Mithilfe war ein Gewinn für das Unternehmen, keine Frage.
    Sie öffneten Farbkübel, tauchten Rollen in die Farbe und begannen das Wohnzimmer zu streichen, das heißt, sie nässten mit der Farbe einen Teil der Wand, damit es ein wenig nach Arbeit aussah. Gegen fünf begann die Dämmerung, um sechs war es dunkel. Dr. Nowak trat auf die kleine Terrasse. Nach vorne ging es fünf Stockwerke nach unten, der später angebaute Liftschacht deckte die Terrasse nach links weitgehend ab. Eine nur eins fünfzig hohe Mauer bildete die Begrenzung auf der rechten Seite, darauf ein Geländer, das die Terrasse der höher gelegenen Nachbarwohnung sicherte. Diese Terrasse war größer, die dazugehörige Wohnung wohl auch. Sie zu besichtigen hatte Dr. Nowak aber ebenso wenig Gelegenheit gehabt wie viele andere Zeitgenossen, die zu gern gewusst hätten, wie es darin aussah. Dr. Nowak interessierte das nicht. Die Wohnung war dunkel, das war entscheidend. Keine Abweichung von den Gewohnheiten des Besitzers.
    »Worauf wartest du?« Manfredo war herausgekommen.
    »Dass es dunkel wird.«
    »Es ist doch dunkel …«
    »Nicht dunkel genug. Und jetzt geh wieder rein und mal eine Wand an.«
    Auch Dr. Nowak beteiligte sich in den nächsten beiden Stunden an der Malaktion.

Weitere Kostenlose Bücher