Das unsagbar Gute
fang nicht damit an …«, sagte Dr. Nowak.
Aber es nutzte nichts, obwohl der Chemiker nicht laut geworden war. Sami nahm eine Kostprobe der weißen Kristalle aus der Schale mit der Nummer siebzehn.
Die großen Dinge passieren genauso wie die kleinen, sie kündigen sich nicht an, auch wenn das später regelmäßig so behauptet wird; ihr Geschehen ist nicht von einer Aura begleitet, es ertönt keine dramatische Musik. Das gibt es nur imKino. Die großen Dinge, an denen die Schicksale ganzer Völkerschaften hängen, passieren einfach.
Sami war nach der Kostprobe der Nummer siebzehn wieder auf den Boden gesprungen und schüttelte den Kopf. Daran erinnerte sich Dr. Nowak später: dass der Kater Sami den Kopf geschüttelt hatte. Dr. Nowak bildete sich ein – und es war ihm klar, dass es sich um bloße Einbildung handeln musste –, eine gewisse Missbilligung aus diesem Kopfschütteln des Katers herauslesen zu können, in dem Sinne etwa: »Was ist denn das für ein Dreck … unfassbar!« Sami setzte sich auf die Hinterpfoten und begann sich mit den vorderen Pfoten die Augen zu reiben. Das Mäulchen stand halb offen, die rosa Zungenspitze schaute heraus, dann ließ er die Reinigungsversuche sein, die Augen waren nun offenbar klar genug.
Sami begann Dr. Nowak anzusehen. Anzusehen. Wie er noch nie angeschaut worden war. Nicht von einer Katze. Aber auch von keinem anderen Lebewesen jemals.
Dann begann Sami zu miauen.
Das wird man bei einer Katze nicht ungewöhnlich finden, aber Dr. Nowak, der keine Ahnung von Katzen im Allgemeinen und von Sami im Speziellen hatte, fand es ungewöhnlich. Nämlich so, dass ihm die Nackenhaare zu Berge standen. Ein Frösteln überlief ihn bei dem durchdringenden Ton, der aber nichts Klagendes, Forderndes, Aggressives oder aber Wehmütiges und so weiter an sich hatte, gar nichts, was in irgendeiner Form interpretierbar gewesen wäre; die Sache, so erklärte er sich das viel später, war vielmehr so, dass dieser Katzenton etwas ausdrückte, eine Empfindung, vielleicht aber auch ein Signal, einen Hinweis – aber etwas, das bisher im Universum des Menschen noch nicht ausgedrückt worden war. Noch nie bis zu jenem Spätherbsttag im Kellerlabor der Leupold-Villa in Dornbirn. Dr. Nowak spürte ein eigenartiges Kribbeln der Kopfhaut und war sich nicht sicher, ob sich nicht etwa nurdie Nacken-, sondern auch seine spärlichen Haupthaare aufrichteten; ob ihm also nicht im Wortsinn die Haare zu Berge standen. Dabei fühlte er aber keine Angst. Er war ganz ruhig, das Herz schlug ihm wieder bis zum Hals, aber langsam diesmal, unaufgeregt. Er schluckte. Wieder miaute der Kater. Dabei legte er den Kopf in den Nacken wie ein heulender Wolf und schickte den nie zuvor gehörten Ton an die weißgetünchte Decke, wo noch das grün-braune Gesprenkel einer vor Jahren durchgegangenen Chromtrioxid-Oxidation zu sehen war.
Ein anderer wäre seinem kreatürlichen Instinkt gefolgt und abgehauen. Raus aus dem Labor, raus aus dem Haus mit dem unheimlichen Kater, der einen Laut von sich gab wie kein anderes Tier, vom dem man je gehört hätte. Aber Dr. Nowak war nicht so gepolt. Er vertraute keinem Fluchtinstinkt.
»Ach!«, sagte er, »was haben wir denn da?« Noch ein paar Mal: »Ja, was haben wir denn da?«, während er zur Rückseite des Tisches trat und die Schale begutachtete. Weiße Kristalle wie in den übrigen Behältern. Nichts deutete auf eine Besonderheit. Sami schwieg. »Da hat das Kätzchen aber was ganz Besonderes gekriegt, was, Sami? Ein ganz besonderes Leckerli … Nummer siebzehn also. Na gut, warum nicht?«
Dann machte Dr. Nowak einen Fehler. Er schaute Sami an.
Später erinnerte er sich an alles, was davor und danach geschah, aber dieser spezielle Augenblick, als er dem Kater einen beiläufigen Blick zuwarf – der war gelöscht, nicht mehr da. Wie ein Digitalschnitt. Dr. Nowak wusste noch, dass er in die Augen des Katers geschaut hatte, konnte sich auch des vage unangenehmen Gefühls vergewissern, das er dabei empfand, aber der Anblick selber war weg. Seine nächste bildliche Erinnerung: die Schale mit der Nummer siebzehn, in die er den angefeuchteten Finger steckte, um eine Spur des körnigen, weißen Pulvers aufzunehmen. Dann der Geschmackseindruck auf der Zunge, mäßig bitter. Riechen tat das Zeug nach nichts.
Macht man so was? Probieren, wie es schmeckt? Nein, tut man nicht! Andererseits lag die aufgenommene Substanzmenge sicher im unteren Mikrogrammbereich, oder doch nicht? Hatte er
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