Das unsichtbare Grauen
»Komm«, sagte sie nur, »dann gehen wir eben gleich ins Bett.« Und zu ihrem Vater gewandt fügte sie hinzu:
»Trink nicht zuviel, Daddy!«
Kopfschüttelnd ließ Botkin sich in den nächsten Sessel fallen, von dem aus er die Getränke der Hausbar bequem erreichen konnte.
Alfred Bensing öffnete die Tür zur Dachterrasse, von wo es nur wenige Stufen zur Plattform waren, wo der Hubschrauber auf ihn wartete.
Sekunden später begannen die Rotorblätter sich immer schneller zu drehen, und der Hubschrauber hob ab, um den Lord direkt zum nächsten Flugplatz der Royal Air Force zu bringen. Dort wechselte Bensing in eine kleinere Düsenmaschine, das Kurierflugzeug der RAF nach Berlin, das er aufgrund der ausgezeichneten B.I.A.- Beziehungen benützen durfte. Die Düsentriebwerke heulten auf. Die Maschine schoß über die Piste und hob ab.
Eineinhalb Stunden später setzte sie auf dem RAF-Flugplatz Gatow bei Berlin auf. Ein Kommandowgen der Britischen Streitkräfte mit einem Sergeant am Steuer erwartete ihn bereits und fuhr ihn in die Nähe des nächsten Taxi-Halteplatzes. Lord Alfred stieg aus und ging 100 Meter zu Fuß, bis er das nächste Taxi besteigen konnte.
Niemand hatte seine Ankunft bemerkt. Niemand verfolgte ihn. Eine halbe Stunde später schrieb er sich als »Mr. Alfred« in einem großen Hotel am Kurfürstendamm ein.
Eine weitere halbe Stunde später wußte die GLEB-Zentrale durch ihre auf alle renommierten Hotels angesetzten V-Leute, daß Lord Alfred Bensing in Berlin eingetroffen war. »Beschatten«, war der knappe Befehl, der als Antwort kam. Aber für den Rest der Nacht war das nicht nötig, weil der Lord sein Zimmer nicht verließ, sondern sich sofort zur Ruhe begab.
Dafür wurde Bensing am kommenden Morgen schon recht früh aktiv. Er griff zum Telefon und wartete, daß sich die Zentrale meldete. Dann bat er: »Bitte, können Sie mich mit H 4 36 41 verbinden?«
»Mit welcher Nummer?« war die verblüffte Rückfrage.
Lord Alfred Bensing wiederholte sie: H 4 36 41, bitte.« Er fügte hinzu: »Der Teilnehmer heißt Momm. Professor Momm.«
»Solche Rufnummern gibt es bei uns nicht, mein Herr«, erklärte das Telefonfräulein pikiert. »Ich kann den Namen im Telefonbuch nachsehen, wenn Sie wünschen.«
»Danke, das mache ich dann schon selbst. Vielen Dank! Verbinden Sie mich bitte mit der Auskunft! Die kann mir bestimmt weiterhelfen.«
»Sofort, mein Herr.«
Gleich darauf hatte Lord Bensing die Telefonauskunft und ließ sich den Beamten von der Aufsicht geben. Aber auch hier erfuhr er nur, daß es derartige Telefonnummern in ganz Berlin nicht gab.
»Moment mal, da fällt mir was ein. Ja, natürlich! Ein alter Kollege erwähnte gelegentlich, daß es früher mal Buchstabenkombinationen im Berliner Telefonnetz gab. Das muß so um 1934 gewesen sein.«
»Und wo finde ich ein Telefonbuch aus diesem Jahr?« Bensing konnte sehr hartnäckig sein.
»Da müssen Sie mal bei der Oberpostdirektion im Archiv nachfragen. Vielleicht daß die noch so einen uralten Schinken haben.«
Der Lord hatte Glück. Im Archiv der Direktion fand sich ein Telefonverzeichns von 1934, und darin entdeckte er den Namen Prof. Dr. Dr. A. Momm, Zehlendorf, Spandauer Chaussee 27, und die gesuchte Telefonnummer.
Außerdem fand sich auch die Telefonnummer des Kaiser-Wilhelm-Instituts. Weitere Nachforschungen des unermüdlichen Lord Bensing ergaben, daß das Institut längst nicht mehr bestand und in der Max-Planck-Gesellschaft aufgegangen war.
Weitere beharrliche Archivarbeit brachte zutage, daß es tatsächlich mal einen Professor Momm am Institut gegeben hatte. Einen Nuklearchemiker, der bis weit in die Tage des zweiten Weltkriegs gewirkt hatte. Lord Alfred notierte das alles gewissenhaft. Auch woran und mit wem der Professor gearbeitet hatte, ließ sich anhand alter Unterlagen feststellen.
Zufrieden kehrte Alfred Bensing ins Hotel zurück. Dort vervollständigte er seine Aufzeichnungen und verschlüsselte sie mit dem Geheimcode vom B.I.A., den selbst die raffiniertesten Dechiffriermaschinen nicht zu knacken vermochten. Danach konnte er sich beruhigt zum Lunch in die Mampe-Stuben begeben.
Weniger zufrieden und schon gar nicht beruhigt waren die zwei GLEB-V-Leute, die wenig später mittels Spezialschlüssel in Lord Alfred Bensings Hotelzimmer eindrangen und alles sorgfältig durchsuchten, ohne dabei Spuren zu hinterlassen. Es waren zwei Spezialisten, die ihr
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