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Das Unsterblichkeitsprinzip

Titel: Das Unsterblichkeitsprinzip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Lang
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Gesprächs verlor sich für immer in Vergessenheit.
      Nie wieder lauschte Ruk jener Stimme, und selbst wenn sie jetzt plötzlich aus den tiefen Abgründen der Zeit erklungen wäre – er hätte ihr keine Beachtung geschenkt.
      Ruk hatte viele Jahre damit verbracht, dazusitzen und Steine mit den Händen zu zermalmen. Er suchte sich zwei etwa gleich große Steine, nahm jeweils einen in die rechte und linke Hand und drückte dann mit den Fingern zu. Irgendwann gab einer der beiden Steine nach und zerbrach. Das derzeitige Ergebnis lautete: linke Hand siebenhundertzweiundfünfzigtausendvierhundertzwei, rechte Hand achthunderttausendneunhundertzwölf. In den letzten Jahren hatte die rechte Hand die Führung übernommen und ihren Vorsprung ausgebaut. Ruk hatte in Erwägung gezogen, sie zu benachteiligen, zum Beispiel durch die Entfernung des kleinen Fingers, aber er wusste nicht genau, ob er den Finger später wieder befestigen konnte. Dieser Punkt beunruhigte ihn.
      Ruk wusste, dass die intelligente Lösung darin bestanden hätte, sich eine andere Beschäftigung zu suchen. Leider gehörte Intelligenz nicht zu Ruks Eigenschaften – darauf hatte einmal jemand hingewiesen.
      Moment mal. Er lockerte seinen Griff um die beiden Steine.
      Wer hatte gesagt, dass Intelligenz nicht zu seinen Eigenschaften zählte? Eine Stimme, die seiner eigenen ähnelte, rief wie aus einer tiefen Schlucht: Dies ist wichtig. Die Antwort auf diese Frage konnte… etwas erklären. Vielleicht alles. Oder? Er weilte aus einem bestimmten Grund an diesem Ort. Da war er plötzlich ganz sicher. Ein geistiges Bild entstand: viele große Gestalten wie er selbst, sie alle standen und sahen ihn an. Sie wollten einen anderen Ort aufsuchen, ließen ihn zurück und beauftragten ihn mit…
      »Warte, Ruk«, sagte eine Stimme. »Warte und wache und sei geduldig. Geduld ist dein Talent.« Diese Worte deuteten darauf hin, dass er keine anderen Talente hatte. Das war ihm im Verlauf von… Jahrhunderten oder Jahrtausenden klar geworden. Er begann damit, die vergangene Zeit zu berechnen, begriff dann aber, dass er sich nicht von der Erinnerung ablenken lassen durfte.
      Wer hat gesprochen?, fragte er sich. Wachen und auf was warten? Und wohin sind all die anderen verschwunden?
      Etwas Neues stieg auf aus verhüllenden Schwaden, blieb zunächst undeutlich, bis die letzten Schlieren fortwichen. Ein Name fiel Ruk ein: Qoz.
      Von ihm stammten die Worte, von Qoz. Eine jähe Erkenntnis bildete sich in Ruk: Qoz war zornig, noch zorniger als er. Das bewunderte Ruk an Qoz. Aber Qoz konnte auch denken und planen. Er konnte alles, außer…
      Ruk spürte, dass er auf etwas Wichtiges gestoßen war. Dies bedeutete etwas. Die einzelnen Stücke kamen zusammen, ergaben einen Sinn. Etwas würde geschehen… Nicht alles vergeht, dachte Ruk, als das Bild Konturen gewann. Ich vergehe nicht.
      Und dann hörte Ruk ein Geräusch.
      So etwas war selten, aber es geschah gelegentlich. Die Welt, in der sich Ruk befand, starb allmählich, aber sie war noch nicht ganz tot. Es gab weder Tiere noch Pflanzen, aber eine Atmosphäre, Wasser (nicht viel) und natürlich Zeit. Jede Menge Zeit. Zeit wirkte sich auf alles aus, selbst auf Felsgestein und Stahl. Und auf den Geist.
      Ruk wusste, dass er sich nicht ablenken lassen durfte. Wovon durfte er sich nicht ablenken lassen? Von dem Geräusch. Was hat es damit auf sich?
      Etwas… bewegte sich. Zielstrebig. Das Etwas… ging.
      Jemand näherte sich ihm.
      Ruk erkannte das Geräusch raschelnder Kleidung, außerdem das leise Zischen von Atemzügen. Er öffnete die Augen und unmittelbar darauf wurde ihm sein Fehler klar: Er hatte sich ablenken lassen. Die Erinnerung – der Name – wich fort.
    Schuld daran war der Gehende, der Eindringling. Das Geräusch des Atmens gefiel Ruk nicht. Es hatte ihm nie gefallen. Es war das Geräusch der Alten.
      Er wollte aufstehen (er stand auf), nach vorn gleiten (er konnte sich sehr leise bewegen, wenn er wollte), die Arme ausstrecken (Steinsplitter lösten sich von seiner Haut und fielen auf den Boden) und zermalmen…
      Er verharrte.
      Nein. Er hatte auf etwas gewartet. Vielleicht auf dies.
      Ruk ging langsam und achtete darauf, keine Geräusche zu verursachen. Er kannte jeden Riss im Boden, jeden einzelnen Stein auf dem Weg – seine Speicherbänke enthielten detaillierte Informationen darüber. In diesem Bereich, so nahe der Oberfläche, verliefen alle Wege durch schmale

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