Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Unsterblichkeitsprinzip

Titel: Das Unsterblichkeitsprinzip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Lang
Vom Netzwerk:
Tunnel.
      Gelegentlich führten rechts und links Zugänge zu weiteren Tunneln oder in Räume. Weiter unten waren die Wege in die Felswand gehauen und manche von ihnen boten nur wenig Platz. Wenn Ruk neugieriger gewesen wäre, hätte er sich vielleicht gefragt, warum die Wege existierten und wohin sie führten. Wenn er nach unten ging, so beschränkte er seinen Aufenthalt auf eine Sektion und passierte nie eine bestimmte Tür. Nach dem Grund dafür fragte er sich nicht. Eines Tages mochte er wichtig werden, aber noch war das nicht der Fall.
      Es herrschte völlige Finsternis, was sich für Ruk jedoch nicht als Hindernis erwies. Erinnerungen steuerten seine Bewegungen.
      »Hallo?«, rief eine Stimme. »Ist dort jemand?« Sie klang ein wenig zu schrill, die Stimme. Ruk ballte die Fäuste und einige Steinsplitter, die noch an den Händen klebten, bohrten sich ihm in die Haut.
      »Ich… ich bin verletzt«, fuhr die Stimme fort. »Ich brauche Hilfe. Und die anderen… Ich glaube, sie sind…« Die Stimme brach und kurze Stille folgte. »Bitte, unser Schiff ist abgestürzt. Ist hier jemand?«
      Plötzlich gab es Licht und Ruk fuhr zurück. Es war lange her, seit er zum letzten Mal Licht gesehen hatte. Er lauschte aufmerksam und gelangte zu dem Schluss, dass der Eindringling nicht log. Er zog das eine Beine nach und atmete unregelmäßig.
      Wieder ein Lichtblitz. Ruk drehte den Kopf zur Seite und schloss die Augen. Aus seinen Speicherbänken rief er Informationen über die Struktur dieses Teils der Stadt (Stadt?, fragte eine ferne Stimme) ab und vermutete, dass der Eindringling durch einen der sekundären Tunnel gekommen war, die von der Hauptverbindung des Oberflächentunnels abzweigten. Wie ist er durch die Luftschleuse gekommen? War sie nicht geschlossen und versiegelt? Oh, nein… Ruk erinnerte sich daran, dass er sie absichtlich offen gelassen hatte. Auf eine Anweisung hin, nicht wahr?
      Er dachte über verschiedene Möglichkeiten nach. Wenn er sich umdrehte und fortging, in einen fernen Winkel des Labyrinths aus Tunneln und Passagen floh… Dann würde der Eindringling irgendwann die Suche aufgeben oder, was wahrscheinlicher war, seinen Verletzungen erliegen und sterben. Ruk dachte an die Wege weiter unten, an die in den Fels gehauenen Pfade. Dort gab es mehr als nur einen Abgrund. Es wäre ganz einfach gewesen, dort zu warten und festzustellen, ob ihm der Fremde bis dorthin folgte. Und wenn das tatsächlich der Fall war… Nun, dann genügte ein Schritt nach vorn, ein kurzer Stoß, ein Schrei und dann Stille.
      »Bitte!«, rief die Stimme. Sie klang schon ein wenig schwächer. »Die Sensoren… Sie teilten uns mit, dass es hier unten… etwas gibt. Etwas… Verdammt.« Das Geräusch der Schritte deutete darauf hin, dass der Eindringling taumelte.
      Hinzu kam die Stimme, ein besonderer Ton in ihr. Ruk vermutete, dass der Fremde nicht mehr lange zu leben hatte.
      Vielleicht kam es einer Gnade gleich, ihn in die Tiefe stürzen zu lassen. Nein, dachte er. Das ist nicht richtig. Hab Geduld.
      Das Licht flackerte und er spürte, dass sich der Eindringling in die entgegengesetzte Richtung wandte. Er kehrte ihm nun den Rücken. Ruk wollte sich ihm nicht von hinten nähern. Er musste irgendwie seine Aufmerksamkeit wecken.
      Ruk straffte die Gestalt, öffnete den Mund, um zu sprechen, und überlegte. Was sollte er sagen? Sein letztes Gespräch lag lange zurück. Was sagten sich zwei Wesen bei ihrer ersten Begegnung? Es ärgerte ihn, dass er sich nicht daran erinnerte, und schlimmer noch: Während er sich Selbstvorwürfen hingab, wankte der Eindringling davon. Das Licht verschwand hinter einer Ecke.
      Mit einer Stimme, die wie eine Lawine klang, rief Ruk: »Warte!«
      Die Lampe drehte sich und schien Ruk direkt ins Gesicht. Er stöhnte schmerzerfüllt, schirmte sich mit der einen Hand die Augen ab und widerstand einer doppelten Versuchung: Ein Teil von ihm wollte fliehen, ein anderer angreifen. Ruk wartete, während der Eindringling langsam durch den Tunnel hinkte, ihm entgegen. Zwei Schritte entfernt blieb er stehen und lehnte sich an die Wand. Für jemanden, der so sehr beschädigt war, wirkte der Fremde erstaunlich zufrieden, fand Ruk. Flüssigkeit kam aus einem großen Riss in der Stirn und tropfte auf die Kleidung. Das eine Bein war verdreht und der Kopf zur Seite geneigt – offenbar gab es irgendwo einen Defekt in der Knochenstruktur. Der linke Arm endete dicht unterm Ellenbogen; ein

Weitere Kostenlose Bücher